Bitte einsteigen, aber nicht in das Schlafwagenabteil 

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Bitte einsteigen, aber nicht in das Schlafwagenabteil

Welchen Stellenwert räumt der Landkreis Coburg unter Landrat Sebastian Straubel (CSU) dem seit Jahrzehnten vielfach geforderten Schienenlückenschluss nach Thüringen ein? Gibt er endlich seine – oftmals kritisierte – Passivität auf und unterstützt mit sichtbarem Engagement ein Vorhaben, das vor allem von der heimischen Wirtschaft, zugleich nicht weniger leidenschaftlich von (vor allem) kleineren Parteien (Grüne, ÖDP, CSB/Linke) und anderen Organisationen seit Jahrzehnten gefordert wird? Ebenso deutlich, also ohne Einschränkung, richten sich diese Fragen an die Stadt Bad Rodach.

Der Bau einer Bahnverbindung vom „Tor zu Thüringen“ – wie sich Bad Rodach gelegentlich gerne selbst nennt – nach Hildburghausen wird neuerdings laut einer Konzeptstudie favorisiert (siehe auch „Schienenlückenschluss über Bad Rodach favorisiert„).

Das Wort „favorisiert“ steht wohl stellvertretend für den Verzicht auf Fortführung einer Diskussion über eine mögliche Variante II: Wiederbelebung der einstigen Werrabahn von Coburg durchs Lautertal nach Eisfeld. Während im Gemeindebereich Lautertal in den letzten Jahren der Widerstand gegen einen Lückenschluss eher wuchs als geringer wurde, gibt es in Eisfeld noch immer Stimmen, die für einen solchen zu kämpfen bereit wären. Aber: Vorbei? Endgültig?

Ungeachtet dessen wird nun volle Konzentration auf die Verlängerung der Bahnlinie Coburg-Bad Rodach bis nach Hildburghausen gefordert. Nicht mehr abgelenkt von Emotionen im Lautertal, könnte dies jetzt die sachliche Arbeit zwischen den Hauptstädten der beiden Bundesländer Bayern und Thüringen begünstigen.

Die Fortführung der Bahnlinie von Bad Rodach zum südthüringischen Nachbarn ist kein Vorhaben, das in ein oder zwei Jahren realisiert werden kann. Und es ist noch lange nicht sicher, ob sie tatsächlich Realität wird oder eine Illusion für viele bleibt.

Um die Aussichten dafür endlich zu prüfen, gibt es eine Reihe von Verfahren, die anzustoßen oder fortzusetzen sind. Dabei handelt es sich nicht um ein Projekt der Stadt Bad Rodach oder des Landkreises Coburg, sondern um eine große Aufgabe Bayerns und Thüringens. Aber es ist für die Region von immenser Bedeutung.

Deshalb wäre es an der Zeit, dass sich Coburg-Stadt und Coburg-Land gemeinsam an die Spitze der Initiatoren begeben und mit Nachdruck eine intensive Fortführung der notwendigen Planungen und Untersuchungen unterstützen. Im Schulterschluss mit der Interessengemeinschaft (IG) „Schienenlückenschluss Coburg-Südthüringen“.

Lokalpolitiker, die bisher schon wenig zu dem möglichen Jahrhundertprojekt gesagt haben, weil sie fürchteten, mit ihrer Meinung Minuspunkte von ihrer Wählerschaft zu bekommen, haben jetzt auch die Mitteilung der IG meist nur knapp kommentiert. Sie beschränkten sich auf Floskeln wie „Natürlich begrüße ich das Konzept“ oder „Bei diesem Vorhaben müssen die Menschen mitgenommen werden“. In Ausnahmefällen fügten sie noch hinzu: „Mal sehen, was das Raumordnungsverfahren bringt.“

Alles schön und gut, Visionäre sind sie nicht! Wer bringt endlich den Mut auf, die Bürgerinnen und Bürger für das Zukunftsprojekt zu begeistern? Wer von den Volksvertretern erkennt die großen Chancen und diskutiert sie mit den Menschen? Eine sachliche Auseinandersetzung über das Für und Wider ist anzustoßen, eher heute als morgen. Erfurt und München müssen von der Aufbruchstimmung vor Ort erfasst werden.

Mit der jahrelangen Zurückhaltung der bayerischen Staatsregierung (Thüringen hat weitaus früher positive Signale gesendet) ist höchstwahrscheinlich auch die Passivität des Landkreises Coburg begründet.

In die Erinnerung sei zurückgerufen, dass im Frühjahr 2021 zehn Kreisräte Christoph Raabs und Thomas Büchner (ÖDP) wowie Herbert Müller (SPC/Linke), Rainer Möbus (Freie Wähler) und die sechsköpfige Fraktion der Grünen mit Bernd Lauterbach an der Spitze fraktionsübergreifend im Coburger Kreistag den Antrag eingebracht haben, sich auf einen Lückenschluss Bad Rodach-Hildburghausen zu konzentrieren. Die Mehrheit, allen voran CSU und SPD, haben ihn abgelehnt. Eigene Initiativen blieben aus.

Parteien und Organisationen, die sich die Themen Umwelt, Klimawandel, öffentlicher Nahverkehr und ähnliches auf ihre Fahnen geschrieben haben, kämpfen seit Jahren neben der Wirtschaft für einen Lückenschluss. Sie rennen oft gegen eine Wand von CSU und SPD.

Sollte die Endstation Bad Rodach eines Tages aufgegeben werden und eine Weiterfahrt auf der Schiene nach „drüben“ möglich sein, würden sich für die Stadt und ihre Umgebung wohl neue Entwicklungsmöglichkeiten ergeben. Und dass die Infrastruktur im Westen des Coburger Landes neue Impulse in Bad Rodach benötigt, wird wohl kein Verantwortlicher verneinen.

An dieser Aufgabe muss die Bevölkerung mitarbeiten. Die Initivative hierfür muss aus dem Rathaus in Bad Rodach kommen. Wie aber sieht es dort aus? Die Mitteilung der IG „Schienenschluss“ über die aktuelle Konzeptstudie zugunsten Bad Rodachs war bereits seit zwei Tagen allgemein bekannt, als der Stadtrat zu einer seiner obligatorischen Sitzungen zusammen kəm. Bürgermeister Tobias Ehrlicher (SPD) informierte auch das Gremium über die Vorlage des Papiers, wie es in der Mitgliederversammlung der IG vorgelegt worden war, an der er teilgenommen hatte. Warum aber nur im nichtöffentlichen Teil? Was war da vertraulich zu behandeln? „Besucher der Stadtratssitzung hätten möglicherweise erkennen können, welches Interesse der Bürgermeister an dem Zukunftsprojekt für ’seine‘ Stadt hat“, sagten später im privaten Gespräch mehrere Stadträte. „Nämlich wenig, wenn überhaupt.“

Und wie denken die Stadträte selbst über einen möglichen Lückenschluss? Sie verweisen darauf, dass Bad Rodachs wirtschaftlicher Aufstieg im letzten Jahrhundert eng mit der Bahnlinie nach Coburg verbunden ist. Sie ist seit 1. Juli 1892 offiziell in Betrieb. Vier Jahre später wurde die Feinsteingutfabrik Roesler gegründet. Ihrer Stillegung folgte 1938 Siemens. Ebenfalls 1938 wurde die Firma Habermaass gegründet. Wo einst Siemens vielen Menschen Arbeitsplätze bot, erfolgt dies jetzt durch Valeo.

Bei allen wirtschaftlichen Rückschlägen, die auch im Jahr 2023 Fakt sind: Bad Rodach hat mit seinen Industriebetrieben immer von der Bahn profitiert. Dass die Linie nie weitergeführt wurde, lag nicht zuletzt am Freistaat Bayern. Stichwort: Staatsvertrag 1919/20.

Umso mehr sollte jetzt, rund ein Jahrhundert später, dessen Verpflichtung angemahnt werden. Eine ehrenvolle Aufgabe für alle der bayerischen Staatsregierung nahestehenden Mandatsträger.

Aber auch aus dem Rathaus in Bad Rodach darf mehr erwartet werden als nur ein paar dürre Sätze zur Konzeptstudie und zum Zukunftsprojekt. Wenn Bürgermeister Tobias Ehrlicher sagt, „der Schienenlückenschluss könnte neue Chancen für Bad Rodach mit sich bringen“ und er gleichzeitig die Meinung vertritt, dass „von Anfang an die Bevölkerung mitgenommen werden müsse“, dann nimmt er sich selbst in die Pflicht. Vielleicht kann er schon bald mit weiteren Informationen vor seine Bürgerinnen und Bürger treten. Für Montag, 6. November, haben sich nämlich beim Stadtrat kompetente Gäste (IHK zu Coburg und Gutachterbüro) angesagt, die sich zum Lückenschluss äußern wollen.

Die im Sommer 2021 gegründete IG zählt 26 Mitglieder. Unter ihnen ist als Einzelmitglied Rainer Möbus, Unternehmer und Zweiter Bürgermeister. Noch nicht aufgenommen wurde dagegen Stadträtin Simone Wohnig (ÖDP). Über ihr Gesuch soll in der nächsten Versammlung der IG entschieden werden, wurde dem hm-.ZweiLänder-Magazin auf Anfrage mitgeteilt.