Das Federvieh ließ Landrat Thomas Müller keine Chance

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Das Federvieh ließ Landrat Thomas Müller keine Chance

Dirk Lindner lud zum Empfang ein – er selbst fehlte dann aber urlaubsbedingt

Musik verbindet. So war es drei Jahrzehnte lang. Jetzt gab es für den scheidenden Landrat Thomas Müller noch ein Ständchen. Foto: A. Corn.

Dass Landrat Thomas Müller (CDU) Gelegenheit gegeben wurde, sich von langjährigen Weggefährten auf dem politischen Parkett und von Behördenvertretern in einem feierlichen Rahmen zu verabschieden, war wohl ein Gebot der Stunde. 30 Jahre stand Müller an der Spitze des Landkreises Hildburghausen (62.000 Einwohner). Fünfmal in Folge hatten ihm die Wählerinnen und Wähler ihr Vertrauen geschenkt – ein respektables Ergebnis! Am Sonntag, 30. Juni, um 24.00 Uhr endet die Amtszeit des 65-Jährigen. Mit dem 1. Juli heißt der neue Landrat Sven Gregor (Freie Wähler), zuletzt zwölf Jahre hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Eisfeld, zuvor in gleicher Funktion, jedoch ehrenamtlich, in Bockstadt tätig. Zudem ist Sven Gregor seit geraumer Zeit Mitglied des Kreistages und in etlichen anderen politischen Positionen erfolgreich und anerkannt.

Am Donnerstag, 4. Juli, um 17.00 Uhr tritt der neue Kreistag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Zugleich wird Sven Gregor als neuer Landrat vereidigt.

Das Mandat des bisherigen Kreistages ist am 31. Mai ausgelaufen, im Monat Juni gab es dieses Gremium offiziell nicht mehr. An der Seite von Landrat Thomas Müller war auch der hauptamtliche Beigeordnete Dirk Lindner im Dienst, dessen Amtszeit Ende 2024 ausläuft.

Dirk Lindner war es auch, der mit Schreiben vom 3. Juni annähernd 300 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Politik und Wirtschaft, verschiedener Organisationen und Vereinen „zur Verabschiedung von Herrn Landrat Thomas Müller“ für Samstag, 22. Juni, ins Staatliche Berufsbildende Schulzentrum in Hildburghausen einlud.

Dirk Lindner hatte wohlmeinende Worte gewählt. Wir zitieren: „Es ist nahezu unmöglich alle Verdienste von Herrn Landrat Müller zusammenzutragen, die mit ihm und seiner Arbeit rund um die Kreispolitik in Verbindung gebracht werden können. Dabei stand für ihn immer das Wohlergehen des Landkreises an erster Stelle und er stellte sich in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger.“ Nun sei es an der Zeit, schrieb Lindner  weiter, „Lebewohl“ zum aktiven Arbeitsleben zu sagen.

Als der Beigeordnete, also der stellvertretende Landrat (seit fünf Jahren), das Einladungsschreiben formulierte, war er wenige Tage zuvor aus dem Rennen um die Nachfolge Thomas Müllers ausgeschieden. Als einer von vier Kandidaten hatte er sich am 26. Mai zur Wahl gestellt, war jedoch schon im ersten Wahlgang gescheitert. Bitter für ihn: Nur gut fünf Dutzend Stimmen gegenüber dem Nächstplazierten hatten ihm für das entscheidende Rennen in der Stichwahl gefehlt.

Das Leben geht weiter. Zunächst meldete sich Dirk Lindner krank, Rückenschmerzen plagten ihn, verlautete aus seiner Umgebung. Er selbst war für viele untergetaucht, also nicht erreichbar.

Währenddessen liefen im Landratsamt an der Wiesenstraße in Hildburghausen die Vorbereitungen für die Abschiedsfeier auf Hochtouren. Eines Tages erreichte Rolf Kaden, in der letzten Legislaturperiode des Kreistages ehrenamtlicher Beigeordneter, ein Anruf „aus dem Büro“ (Kaden). Das mit der Feier beauftragte Team fragte an, ob er, Kaden, die Abschiedsrede für den scheidenden Landrat übernehmen könne, denn: Dirk Lindner habe seinen Resturlaub 2024 angetreten.

Rolf Kaden, vor drei Jahrzehnten selbst Landratskandidat und in den folgenden Jahren eng an der Seite des amtierenden Landrates, sagte zu.

So also pilgerten am vorletzten Juni-Samstag die geladenen Gäste ins Schulzentrum. Dort begrüßte Thomas Müller am Eingang jeden Einzelnen, nahm gute Wünsche entgegen und durfte sich über viele Geschenke freuen.

Später trat Rolf Kaden ans Mikrophon. Der altgediente Kommunalpolitiker ließ die vergangenen drei Jahrzehnte Revue passieren, nannte stellvertretend für etliche sichtbare Zeichen der Aufwärtsentwicklung des Landkreises Hildburghausen mehrere Schulen, Sporthallen und andere Objekte. Eine Herzensangelegenheit sei es Thomas Müller gewesen, sagte Kaden, jahrelang für die Internatsschule für geistig behinderte Kinder und Jugendliche in Kursk / Russland ehrenamtlich tätig zu ein. Nach dem Angriffskrieg Putins in der Ukraine sei der Kontakt in die osteuropäische Region abgebrochen. Leider.

Rolf Kaden wusste seine Rede auch mit ein paar humorvollen Bemerkungen zu würzen, wie zum Beispiel mit dem Hinweis, Thomas Müller habe den heimischen Dialekt gepflegt, was vielen Menschen in der Region gefiel. Als gebürtiger Sachse und Wahl-Thüringer habe er es schon allein deshalb schwerer gehabt, da und dort „anzukommen“.

„Rolf, des haste schöö gemacht“, kommentierte Thomas Müller die Ausführungen seines langjährigen Wegbegleiters. Dann erzählte der Scheidende aus seinem Leben. Zunächst über seine Kindheit. Schon als Vierjähriger habe er in der Gaststätte seines Großvaters im Service mitgewirkt. Ursprünglich sei es sein Ziel gewesen, Sport zu studieren, doch ein Unfall habe den Einstieg hierzu verhindert.

Thomas Müller berichtete weiter, dass er mit dem „staatlichen System“ der einstigen DDR nicht zurecht kam. Dieses sei 1989/90 in einer „friedlichen Revolution“ aufgelöst worden. Endlich habe er im Alter von 30 Jahren“den ganzen Landkreis Hildburghausen kennenlernen dürfen“. Schließlich sei er Bürgermeister der Gemeinde Schönbrunn geworden, damals noch vom Gemeinderat gewählt. „Du hattest die größte Gosch’n“, hätten ihm politische Freunde gesagt, jetzt solle er auch Verantwortung übernehmen.

Vier Jahre später wechselte Müller an die Spitze des Landkreises Hildburghausen. Gerne sei er stets bei den Menschen in den Städten und Gemeinden gewesen, wie beispielsweise zur Eröffnung von Kleintierausstellungen, sagte Müller. Bei den Kaninchen sei während der Reden des Schirmherrn alles still gewesen, während bei Geflügelschauen das Federvieh die Grußadressen übertönte.

Danach ergriff spontan Uwe Höhn (SPD) das Wort. In der abgelaufenen Legislaturperiode war er Vorsitzender des Kreistages. Auch Höhn hatte sich 1994 um das Amt des Landrates beworben, war aber in der Stichwahl gegen Thomas Müller relativ knapp unterlegen.

Uwe Höhn zitierte aus einem Zeitungsartikel unmittelbar nach der Niederlage, wie souverän beide das Wahlergebnis erwarteten. Thomas Müller war gewählt – und wurde dies bis 2018 noch vier Mal. Uwe Höhn wechselte wiederum in die Landespolitik, bekleidete einige Zeit das Amt eines Landtagsvizepräsidenten und war auch vorübergehend Wirtschaftsminister des Freistaates Thüringen.

Bevor im zweiten Teil der Veranstaltung Musik- und Gesangsdarbietungen geboten wurden, schaute man sich im Publikum um. Inmitten der Gästeschar war Sven Gregor, der neue Landrat. Als Noch-Bürgermeister des Werra-Städtchens Eisfeld war er mit dem früheren langjährigen Bürgermeister Gerd Braun und seinem Nachfolger ab 1. Juli Christoph Bauer erschienen, um sich von Thomas Müller mit Dankesworten und guten Wünschen für die Zukunft zu verabschieden.

Nur ein einziges Mal wurde in der zurückliegenden Feierstunde der Name Dirk Lindner erwähnt. Thomas Müller hatte daran erinnert, dass Lindner zur Feier eingeladen hatte …

Die Einladung wirkte stilvoll, der offizielle Stehempfang ungezwungen, das folgende Beisammensein gemütlich. Dirk Linders Abwesenheit ließ die Frage aufkommen, ob er als Hauptamtlicher Beigeordneter in Zukunft die menschliche Größe und das politische Format hat, über das Jahr 2024 hinaus unter dem neuen Landrat zu bestehen.