„Landratsamt zu einer bürgerfreundlichen Verwaltung weiterentwickeln“
Herr Lindner, Sie sind Jahrgang 1964 und greifen nun am Sonntag, 26. Mai, nach dem Amt des Landrates des Landkreises Hildburghausen. Was hat Sie bewogen, sich um die Aufgabe zu bemühen?
Lindner: Die vergangenen Jahre haben gezeigt: Wir leben in turbulenten und krisenhaften Zeiten, die nicht nur uns als Gemeinschaft vor enorme Herausforderungen stellen, sondern jedem einzelnen Bürger viel abverlangen. Als langjähriger und leitender Beamter im Verwaltungsbereich möchte ich gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern die Zukunft unseres Landkreises aktiv gestalten. Das ist mein Antrieb.
Bei der Vielzahl an öffentlichen Terminen in den Dörfern und Gemeinden wie auch in persönlichen Gesprächen mit Parteikollegen oder Kreistagsmitgliedern habe ich in den letzten Monaten so einen enormen Zuspruch und positive Resonanz erhalten. Gerade das bestärkt mich umso mehr in meiner Entscheidung, Verantwortung für den Landkreis zu übernehmen. Ich weiß, ich kann nicht alles beeinflussen. Ich verspreche den Menschen auch nicht das Blaue vom Himmel, dafür bin ich viel zu sehr Realist. Aber ich kann mit meiner Arbeit einen Teil dazu beizutragen, unseren schönen Landkreis noch lebenswerter zu machen. Vor allem möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern wieder vermitteln, dass wir vor Ort vieles erreichen können, wenn wir es selbst anpacken und uns gegenseitig vertrauen und unterstützen.
Mit welchen innovativen Ideen wollen Sie den Landkreis Hildburghausen voranbringen?
Lindner: Innovativ ist immer so ein weitgefasster Begriff. Ja, ich habe viele Ideen und möchte auch neue Wege gehen. Es bringt aber nichts, neue Wege „von oben“ zu diktieren. Vielmehr geht es darum, neue Formen der Bürgerbeteiligung auszuprobieren und dauerhaft zu etablieren. Deshalb möchte ich gerne ein regelmäßiges Gesprächsforum einführen, das rotierend in den Gemeinden des Landkreises durchgeführt wird.
Wir haben viele Themen zu bearbeiten. An oberster Stelle steht dabei, das Landratsamt zu einer leistungsstarken und vor allem bürgerfreundlichen Verwaltung weiterzuentwickeln. Natürlich spielt die Digitalisierung der Verwaltungsverfahren eine große Rolle – hier haben wir noch viel Nachholbedarf. Bei vielen Fragen und Problemstellungen müssen wir auch erst neue Wege denken und uns als gestaltende Instanz verstehen. Eine moderne Verwaltung sollte eben nicht nur Anträge bearbeiten, sondern auch die Wirtschaft im Blick haben, die soziale Infrastruktur ausbauen und Angebotsformate vorhalten, welche insbesondere Familien unterstützen und älteren Menschen ein Altern in Würde und in ihrem gewohnten Lebensumfeld ermöglichen.
Mal abgesehen von allen einfallsreichen Ideen und Vorhaben, wird der Landrat, und dessen muss er sich bewusst sein, vor allem auch ein Krisenmanager sein müssen. Ich glaube nicht, dass viele der aktuellen Krisen und globalen Herausforderungen in den nächsten sechs Jahren abschließend gelöst werden können. Die Abfederung der Folgen von Überalterung und Abwanderung aus dem ländlichen Raum oder die Gestaltung der medizinischen Infrastruktur beispielsweise stellen Prozesse dar, die langfristiger und vorausschauender Lösungsstrategien bedürfen.
Verständnis von Freiwilligenarbeit grundlegend überdenken
Nach jetzigem Stand können Sie, altersbedingt, nur für eine Legislaturperiode das Amt ausüben. Das heißt: 2024 bis 2030. Welche Probleme wollen Sie in diesem Zeitraum lösen?
Lindner: Die Amtsperiode eines Landrats ist mit sechs Jahren vergleichsweise lang. Gerade wegen meiner langjährigen Erfahrung und fachlichen Ausbildung müsste ich mich nicht groß in die Amtsgeschäfte und Strukturen des Hauses einarbeiten. Ich kann also gezielt mit meinen Vorhaben starten und mit einem kompetenten Team einiges für den Landkreis in den nächsten Jahren bewegen. Einige Punkte habe ich bereits benannt. Zudem liegen mir spezifische Themen wie die Fortführung der Modernisierung der Ausstattung der Feuerwehren und Rettungskräfte, die sukzessive Weiterentwicklung eines modernen Mobilitätsangebots und der Ausbau des Rad- und Wanderwegenetzes besonders am Herzen. Das Ehrenamt, als einen Grundpfeiler unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts, wird einen besonderen Stellenwert als Querschnittsaufgabe einnehmen. Auch hier müssen wir in neuen Kategorien denken und das bisherige Verständnis von Freiwilligenarbeit im Landkreis grundlegend überdenken.
Und um noch einmal kurz auf „Amtsperiode“ zurückzukommen: Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass die aktuelle Regelung im Wahlgesetz wie in anderen Bundesländern noch einmal überdacht und angepasst wird. Damit wäre eine weitere Amtszeit jedenfalls theoretisch nicht ausgeschlossen.
MuseumsNetzwerk Süd e.V. maßgebend mit initiiert
Sie gelten als ein Urgestein des Landratsamtes Hildburghausen. Welche Bereiche haben Sie dort verantwortlich geführt?
Lindner: Direkt nach meinem Studium zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) bin ich 1992 als Mitarbeiter für Wirtschaftsförderung und Tourismus im Landratsamt eingestiegen. Kurze Zeit später habe ich diesen Bereich dann als Sachgebietsleiter übernommen. Diese Funktion habe ich selbst noch als Leiter des Sozialamtes 1996 wahrgenommen. Im Jahr 1998 kam dann der große Aufgabenkreis des Jugendamtes noch hinzu. Als ein großes Amt begleitete ich die beiden Bereiche als Amtsleiter bis zu meiner Wahl zum Hauptamtlichen Beigeordneten.
Welche Themen mir besonders am Herzen liegen, habe ich schon erwähnt. Bereits als Hauptamtlicher Beigeordneter habe ich versucht, neue Akzente zu setzen und innovative Planungsprozesse in meiner Stabsstelle Kreisentwicklungsplanung voranzutreiben. Neben den Fachbereichen Sozial- und Regionalplanung, Mobilität/ÖPNV, Wirtschaftsförderung und Tourismus gehören hierzu auch das Naturhistorische Museum Schloss Bertholdsburg und das MuseumsNetzwerk Süd e.V., was ich maßgebend mit initiiert und begleitet habe. Ich kann also bereits an viele Punkte anknüpfen und diese als Landrat noch stärker forcieren.
„Einzelne Sachverhalte differenzierter bewertet“
Das Amt des ersten Beigeordneten des Landkreises Hildburghausen wurde Ihnen vor knapp sechs Jahren übertragen. Gab es während dieser Zeit Entscheidungen auf Kreisebene, für die Sie sich nicht verantwortlich fühlen?
Lindner: Ich habe damals bewusst und nach reiflicher Überlegung entschieden, mich für dieses Amt zu bewerben und auch stärker in eine politische Richtung zu denken. Als Hauptamtlicher Beigeordneter bin ich aber an erster Stelle der Leiter des Dezernates II und kein Mitglied des Kreistages, der noch immer das höchste demokratische Entscheidungsgremium in einem Landkreis darstellt. In dieser Funktion leite und verwalte ich das Amt für Gebäudewirtschaft, das Jugend- und Sozialamt sowie das Migrationsamt, die Schulverwaltung und die Stabsstelle Kreisentwicklungsplanung. Für diese Fachbereiche übernehme ich natürlich bereits die Verantwortung für inhaltliche Entscheidungen.
Als leitender Beamter und stellvertretender Landrat ist man dem Haus und vor allem der Hausleitung zu Loyalität und Integrität verpflichtet. Das sind Werte, die ich sehr hoch schätze und die die Voraussetzung für ein vertrauensvolles Miteinander mit dem Landrat bilden. Thomas Müller und ich haben immer sehr eng zusammengearbeitet, sodass ich in viele Entscheidungen auf Kreisebene eingebunden war. Mit Sicherheit habe ich einzelne Sachverhalte differenzierter bewertet und wäre anders damit umgegangen.
Öffentlichkeitsarbeit ist zu modernisieren
Um welche „einzelne Sachverhalte“ handelte es sich?
Lindner: Insbesondere während der Pandemiezeit wurden Schwächen der Öffentlichkeitarbeit unserer Behörde sichtbar. Wir haben das dann mit zeitlich befristeten Umsetzungen aus meiner Stabsstelle Kreisentwicklungsplanung im Haus gut meistern können. Nichtdestotrotz war klar, dass hier dringender Handlungsbedarf bestand. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass ein Pressesprecher eingestellt wurde, um hier einen Entwicklungsprozess voranzutreiben. Die Modernisierung der Öffentlichkeitsarbeit wird definitiv ein Punkt sein, den ich im Rahmen eines strategischen Umstrukturierungsprozesses zu Beginn einer möglichen Amtszeit als Landrat anpacken werde.
Auch die überparteiliche Zusammenarbeit hätte ich tendenziell anders gestaltet. Landrat Thomas Müller war es aus seiner langen Amtszeit gewohnt, dass er mit Mehrheiten für seine Entscheidungen im Kreistag arbeiten konnte. Das hat sich aber maßgebend verändert. Heute ist es wichtig, Mehrheiten zu suchen und dementsprechend auch verschiedene Lösungswege aufzuzeigen und Kompromisse einzugehen. Ich denke, ich bin hier immer sehr besonnen und lösungsorientiert aufgetreten und konnte durch eine gute Gesprächsführung zu einer besseren Entscheidungsfindung im Kreistag und den Ausschüssen beitragen. Das ist definitiv eine Eigenschaft, die ich mir nicht nehmen lassen werde. Es ist immer wichtig, über den Tellerrand zu schauen und andere Meinungen als die der eigenen Partei zuzulassen und zuzuhören! Klar ist aber auch: Der Landrat entscheidet schließlich in seiner Funktion, als von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählter Chef der Kreisverwaltung.
Auf der Suche nach einem starken Partner
Das Gesundheitswesen ist ein „heißes Thema“. Stichwort: REGIOMED. Das laufende Insolvenzverfahren des Klinikkonzerns – unter Beteiligung der Landkreise Hildburghausen, Sonneberg, Coburg und Lichtenfels sowie der Stadt Coburg – steht im krassen Gegensatz zu dem einst länderübergreifend gefeierten „Leuchtturm“ in der Krankenhauslandschaft. Wie kann der Landkreis Hildburghausen das auch ihn belastende Fiasko abschütteln?
Lindner: Wir haben hier ganz deutlich für einen anderen Weg plädiert. Schlussendlich müssen wir aber die unterschiedlichen Entscheidungen anderer Landkreise akzeptieren, was zum Insolvenzverfahren des REGIOMED-Konzerns geführt hat. Die Einrichtungen des Klinikverbundes im Landkreis Hildburghausen sind nicht die mit den größten Defiziten, da hier in der Vergangenheit bereits zum Teil schmerzhafte Reformen durchgeführt worden sind. Das Ziel muss sein, das Krankenhaus in Hildburghausen als Grund- und Regelversorger zu erhalten und auch die anderen Einrichtungen auf Dauer zu sichern. Das wird nach meiner Überzeugung nur in einer starken Partnerschaft funktionieren.
„In der aktuellen Situation gegen alle Denkverbote“
Soll es sich bei dem „starken Partner“ um einen Nachbarkreis handeln oder liebäugeln Sie mit einem privaten Klinikkonzern?
Lindner: Unter einem starken Partner oder einer Partnerschaft aus mehreren Akteuren ist deshalb vieles denkbar. Wichtig dabei ist es, ein Konstrukt aus erfahrenen Protagonisten im Gesundheitswesen, Politik sowie Wirtschaft und Gesellschaft zu bilden. Wie das dann am Ende aussieht, ob als Zweckverband, Kommunalunternehmen oder auch privatisiert mit kommunaler Beteiligung, das muss man sehen. Ich bin hier, in der aktuellen Situation jedenfalls, gegen alle Denkverbote. In erster Linie muss es aber um die Menschen gehen, die in den medizinischen Einrichtungen arbeiten und Jenen, die darin versorgt werden sollen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch eine schnelle Umsetzung der Krankenhausreform durch den Bund, damit auch kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum nachhaltig bestehen können.
Wachsender bürokratischer Apparat wird zum Problem
Landauf, landab wird ein Abbau der Bürokratie gefordert. Welche bürokratischen Hürden sind im Interesse der Kommunen von Bund und Land zeitnah aus dem Weg zu räumen?
Lindner: Sicherlich stellt der hohe bürokratische Aufwand ein Hindernis für die Kommunen dar. Immer mehr Aufgaben werden vom Bund auf die Länder und von den Ländern auf die Kommunen übertragen, ohne dabei die notwendigen Mittel und Strukturen zur Umsetzung zur Verfügung zu stellen. Für die Kommunalverwaltungen ist deshalb vorrangig, dass sie für ihre Leistungserbringung auch entsprechend ausfinanziert werden.
Aber lassen Sie mich noch kurz auf einen Punkt in diesem Zusammenhang eingehen: Gerade für die regionalen Unternehmen, die Landwirtschaft, die Vereins- und Brauchtumskultur und für die Bürgerinnen und Bürger wird der wachsende bürokratische Apparat zunehmend zum Problem. Ja, ohne Bürokratie geht es nicht. Aber ich gebe den Bürgerinnen und Bürgern recht, dass es oftmals viel zu lange dauert, bis eine Baugenehmigung oder der Elterngeldbescheid vorliegt. Ich verstehe auch den Ärger der Unternehmer, wenn es Jahre dauert, bis ein engagierter Mitarbeiter mit Migrationshintergrund endlich seine Anerkennung über einen bereits vorhandenen Berufsabschluss bekommt und deshalb den Betrieb wieder verlässt oder nicht entsprechend eingesetzt werden kann.
Wenn man Bürokratie abbauen möchte, ist es daher von zentraler Bedeutung, bürokratische Prozesse zu entschlacken und besser aufeinander abzustimmen. Insbesondere der Fördermittelbereich muss deutliche Änderungen erfahren. Das Antragspamphlet und die Verwendungsnachweisführung sind mittlerweile so komplex, dass es kaum noch händelbar ist. Ein kleiner Verein ringt sich da nur noch selten durch, einen Antrag über ein paar Euro zu stellen.
Die Fragen stellte Horst Mitzel