Sommerfest der Thüringer Freien Wähler mit Bundesvorsitzendem Hubert Aiwanger

„Servus“, sagt Hubert Aiwanger, der Niederbayer, beim Verlassen seiner Limousine zu einem älteren Herrn, der am Wegesrand stehen geblieben ist, um den Ankömmling zu mustern. Beide Männer haben das gleiche Ziel: Das erste Sommerfest der Freien Wähler Thüringens in Gleichamberg, dem etwa 794 Einwohner zählenden Dorf im Stadtbereich Römhild.
Für einige Stunden umweht ein Hauch Europa die Ortschaft am Südhang des „Großen Gleichberges“ (679 Meter). Alle drei Abgeordnete der Freien Wähler im Europaparlament – Christine Singer (Bayern), Dr. Joachim Streit (Rheinland-Pfalz) und Engin Eroglu (Hessen) – haben sich unter die Festbesucher eingereiht; weitere sind sogar aus Brandenburg und Sachsen gekommen. Doch die breite Aufmerksamkeit gehört zunächst vor allem Hubert Aiwanger.
„Servus“, sagt der Bundesvorsitzende der Freien Wähler gefühlt wohl noch weitere 50-mal und mehr. Aiwanger schlendert durch die Besuchergruppen, streckt den Menschen die Hand entgegen und begrüßt Rainer Möbus aus Bad Rodach mit den Worten: „Schön, dass Du auch gekommen bist“. Dann klettert der 54-Jährige in den Bierwagen und freut sich darüber, dass ihm gleich eine „Halbe“ angeboten wird. Prost!
Um 14.00 Uhr hatte das Fest an diesem letzten August-Sonnabend offiziell eröffnet werden sollen. Doch just zu diesem Zeitpunkt ziehen schwarze Wolken über Gleichamberg auf, es gießt in den folgenden Minuten in Strömen. Kein Dutzend Frauen und Männer ist auf dem Wiesengrundstück im Gewerbegebiet zu sehen. Der Regen prasselt nieder, das auf den Tischen ausgelegte Werbematerial – zum Teil Reste aus dem Wahlkampf um das Amt des Landrates des Landkreises Hildburghausen im Frühjahr 2024 – muss später von helfenden Kräften eingesammelt und völlig durchnässt entsorgt werden.
In den nächsten zwei bis drei Stunden versammeln sich etwa 100 Besucher an den Tischen und Bänken, die Hüpfburg für Kinder bleibt lange Zeit ungenutzt. Vielleicht sind mehr Gäste erwartet worden. Doch die Veranstalter sind Realisten. Sie wussten natürlich, dass ihr Sommerfest „in Konkurrenz“ zu vielen anderen Veranstaltungen steht, aber …
Nach den letzten Wahlen haben die Freien Wähler Thüringens kritisch Rückschau gehalten und akribisch, wie ein Insider erzählt, Fehler und Schwachstellen analysiert. In einem Punkt war sich eine große Mehrheit einig: Wir müssen mehr unter die Menschen gehen, und nicht nur der FW-Bundesvorsitzende muss mit ihnen das Gespräch suchen, sondern auch unsere Abgeordneten.
So kam die Idee für ein Sommerfest der Thüringer Freien Wähler zustande. Bei der Suche nach einem Standort bot Andreas Hummel (42), der in Gleichamberg beheimatete Landesvorsitzende, sein privates Wiesengrundstück für die Veranstaltung an. Dort gab es im vorigen Jahr schon eine ähnliche Zusammenkunft im Vorfeld der Landratswahl, die Sven Gregor schließlich gewann. Seither stellen die Freien Wähler erstmals einen Landrat aus ihren Reihen in Thüringen.
Das hat ihnen, zumindet im Süden des Freistaats, Auftrieb gegeben. Von den jetzt angereisten Europapolitikern konnte Dr. Joachim Streit immerhin darauf verweisen, dass ihm die Landschaft und deren Menschen nicht fremd sind. Dr. Streit ist in der Eifel zuhause. Von 1997 bis 2009 war er Bürgermeister in Bitburg, danach bis 2021 Landrat des Landkreises Bitburg-Prüm (Dieser pflegt seit über einem Vierteljahrhundert eine Partnerschaft mit dem Landkreis Sonneberg.). Es folgten drei Jahre im Landtag von Rheinland-Pfalz als Vorsitzender der FW-Fraktion, ehe Dr. Streit im Juni 2024 den Wechsel ins Europaparlament vollzog.
Der Mann aus der Eifel und seine Parlamentskollegen griffen in Gleichamberg nach dem Mikrophon. Das war mitten auf der Wiese platziert, auf ein Podium wurde bewusst verzichtet. Die Politiker umrissen kurz ihre Aufgaben in Brüssel und Straßburg, wo sie auch in wichtigen Ausschüssen Verantwortung tragen. Christine Singer aus Weilheim/Oberbayern ist Hauswirtschaftsmeisterin, engagierte sich etliche Jahre als Gemeinde- und Kreisrätin und ist seit 2022 Landesbäuerin.
Als der Dritte im Bunde der Europaabgeordneten stellte sich Engin Eroglu aus Schwalmstadt/Hessen vor, der in dieser Funktion seit 2019 tätig ist. Der 43-jährige gelernte Bankkaufmann ist FW-Landesvorsitzender in Hessen und einer der stellvertretenden FW-Bundesvorsitzenden wie auch Dr. Joachim Streit.

Hubert Aiwanger, der bayerische Wirtschaftsminister, war aus Maria Bildhausen bei Münnerstadt gekommen. Dort hatte er sich mit der „Interessengemeinschaft Rotwild“ über aktuelle Fragen ausgetauscht. In Gleichamberg war er nicht zum ersten Mal; 2024 hatte er mit einer Rede die schon erwähnte Wahlveranstaltung der Freien Wähler des Landkreises Hildburghausen bereichert.
Diese Wertung sei nicht überzogen, versichern Teilnehmer von damals. Und wie im Vorjahr, hat Aiwanger, der umstrittene Landespolitiker in Bayern, in Thüringen seine Anhänger. Dort eben als Bundesvorsitzender. Wie er auf die Menschen zugeht, ihnen „aufs Maul schaut“, sich mit ihnen unterhält, seine Reden im niederbayerischen Dialekt mit Anekdoten zu „würzen“ versteht – das gefällt vielerorts.
Bis 16.30 Uhr wollte an diesem Samstag Hubert Aiwanger in Gleichamberg bleiben. Aus dem Auto heraus hatte er Landrat Sven Gregor angerufen und gebeten, möglichst bald nach Gleichamberg zu kommen. Doch der absolvierte erst noch andere repräsentative Aufgaben. Als Gregor um 16.13 Uhr in dem Römhilder Stadtteil endlich eintraf, nahm Aiwanger ihn zur Seite und bat darum, über aktuelle Geschehnisse zu berichten. Um 18.30 Uhr steckten die beiden Männer noch immer ihre Köpfe zusammen… Bis dahin hatten die anderen Gäste etliche Bratwürste vertilgt, die es, so Andreas Hummel, „nicht umsonst, aber gratis gab“.
Und was sagte Hubert Aiwanger, als ihm bei seiner Rede der Wind den Rauch vom nahen Bratwurststand ins Gesicht blies: „Thüringer Bratwurstrauch ist kein Abgas, das ist Deo.“
Horst Mitzel