Interview mit MdB Klaus Ernst, DIE LINKE

„Politikverdrossenheit ist nur allzu verständlich“

Klaus Ernst (68), ehemals Gewerkschaftssekretär und SPD-Mitglied, gehört seit 17 Jahren dem Deutschen Bundestag an. Längst zählt er auf Bundesebene und in der Bundestagsfraktion zu den führenden Köpfen der LINKEN. Den Weg zu ihnen fand er über die Partei WASG. Seit geraumer Zeit betreut der in München geborene und in Schweinfurt beheimatete Politiker im Rahmen seiner Möglichkeiten dem Wahlkreis Coburg-Kronach. Jetzt lud Klaus Ernst (Foto) Interessierte zu einer „politischen Bildungsreise“ nach Berlin ein. Wir baten den Bundestagsabgeordneten um ein Interview.

Herr Ernst, knapp 50 Personen aus dem Wahlkreis Coburg-Kronach sind Ihrer Einladung nach Berlin gefolgt. Im Rahmen der „Politischen Bildungsreise“ besuchten die Frauen und Männer den Deutschen Bundestag. Im Rahmen der allgemeinen Informationen wies ein Referent darauf hin, dass dem Plenum 736 Abgeordnete angehören. Diese hohe Zahl stieß überwiegend auf Unverständnis. Können Sie dies verstehen?

Klaus Ernst: Das Unverständnis ist nachvollziehbar. Vergleicht man die Größe des deutschen Parlaments mit der Größe anderer Parlamente, ist dies schwer zu vermitteln. So hat das US-Repräsentantenhaus 435 Mitglieder.

Was wollen Sie tun, um die Weichen für eine Reduzierung des Gremiums zu stellen?

Die Größe des Bundestages entsteht vor allem durch Ausgleichs- und Überhangsmandate. DIE LINKE hat bereits 2019 gemeinsam mit FDP und Grünen einen Vorschlag gemacht dies zu ändern: „Der neue Vorschlag sieht deren Reduzierung vor, indem das Verhältnis von Listen- und Direktmandaten zugunsten der Listenmandate verändert werden soll: Die Zahl der Wahlkreise wird auf 250 verringert, die Gesamtsitzzahl moderat auf 630 erhöht.“

Die Forderung nach einer Verkleinerung des Deutschen Bundestages ist wohl auch unter dem Gesichtspunkt „enorme Kosten“ zu betrachten. Einerseits klagen viele Menschen über hohe Kostensteigerungen ihres täglichen Lebens, andererseits leisten wir uns Deutsche einen aufgeblähten Bundestag. Erscheint Ihnen die Politikverdrossenheit vieler Menschen verständlich?

Die Politikverdrossenheit ist leider nur allzu verständlich. Oft werden Entscheidungen gegen die Mehrheit der Bürger getroffen. Mir geht es vor allem um eine optimale Beteiligung der Bürgerinne und Bürger an politischen Entscheidungen. Deshalb darf man das Parlament nicht nur unter Kostenaspekten sehen.
Die Kosten für das Parlament betragen trotz der Größe  nur 0,2 Prozent des Bundeshaushaltes.
Die Pandemie hat gezeigt, dass eine reduzierte Beteiligung der Bürger durch reduzierte Parlamentsarbeit große Probleme mit sich bringt.

Sie gehören seit 2005 dem Deutschen Bundestag an. In dieser Legislaturperiode wurden Sie zum Vorsitzenden des Ausschusses für Klima und Energie berufen. Welche Akzente konnten Sie bisher setzen?

Zur Zeit beschäftigt mich vor allem die Energiesicherheit. Unser Wohlstand in den letzten 50 Jahren beruhte auch auf günstiger Energie, die unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhte. Bis vor dem völkerrechtswidrigen Krieg war es Konsens, schrittweise aus fossiler Energie auszusteigen und auf grüne Energie zu setzen. Nach den verhängten Sanktionen – inzwischen haben wir das 8. Sanktionspaket gegen Russland – hat Russland die Gasversorgung fast gänzlich eingestellt, gegen Ölimporte hat die Bundesrepublik ein Embargo verhängt. Diese Art der Sanktionen halte ich für katastrophal. Sie schaden durch extrem hohe Energiepreise den Bürgern und der Industrie in Deutschland und Europa und führen zu dauerhaften Konkurrenznachteilen gegenüber den USA. Deshalb meine Position: Mit Russland verhandeln.

Welche Bürgeranliegen wurden Ihnen in jüngster Zeit vorgetragen?

Bürgeranliegen beschäftigen sich mit einer Vielzahl unterschiedlichster Themen. Erst kürzlich erreichte mein Büro eine Anfrage eines Bürgers, dem es wie sehr vielen in unserem Land geht. Er beheizt seine Wohnung mit Öl, wie rund jeder fünfte deutsche Haushalt. Auch die Ölpreise sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen, um rund 114 Prozent gegenüber des Vorjahres. Sie sind nach gegenwärtiger Planungen der Bundesregierung von Entlastungen ausgenommen. Nicht nur der Bürger, auch ich halte dies für falsch.

Noch einmal: Klima und Energie. Sind Sie mit den Problemen auf diesem Gebiet in Coburg-Stadt und -Land vertraut? Stehen Sie mit der Stadt Coburg oder dem Landkreis Coburg in diesen Fragen im Gedankenaustausch? Pflegen Landrat und OB zu Ihnen Kontakt?

In Coburg ist eines meiner drei Wahlkreisbüros in Bayern. Einer meiner Mitarbeiter im Wahlkreisbüro Coburg, Rene Hähnlein, ist Mitglied des Stadtrates. Daher gibt es natürlich einen Austausch.  Auch in Coburg haben die Menschen mit explodierenden Energiepreisen zu kämpfen, wie auch in Schweinfurt und der gesamten Bundesrepublik. Wie auch in anderen Regionen, haben die Stadtwerke in Coburg vor rund einem Monat eine Verdopplung ihrer Strompreise angekündigt.

Von Coburg zurück nach Berlin: Ist Sahra Wagenknecht noch Mitglied der Bundestagsfraktion DIE LINKE? Sind Sie auf ihrer Seite?

Selbstverständlich ist Sahra Wagenknecht noch Mitglied der LINKEN und auch unserer Bundestagsfraktion. Ich teile ihre Standpunkte in den meisten Fragen und halte ihre Argumentationen für überzeugend und stichhaltig.

Interview: Horst Mitzel