Leere Reihen im Coburger Kreistag
Wermutstropfen im Freudenbecher
Wo waren sie nur geblieben, die Volksvertreter/innen des 60-köpfigen Coburger Kreistages beim Festakt „50 Jahre Landkreis Coburg“? Landrat Sebastian Straubel (CSU) hatte sie in die Zweifach-Sporthalle der Staatlichen Realschule Coburg II auf dem Judenberg in der Veste-Stadt eingeladen. Dort war alles stilvoll hergerichtet, doch an hübsch gedeckten Tischen blieben etliche Stühle leer und viel Essen in gehobener Qualität blieb unberührt liegen … Der Steuerzahler lässt grüßen!
„50 Jahre Landkreis Coburg“ – das war allerdings nicht 100-prozentig korrekt formuliert. Der Landkreis Coburg ist nun einmal älter, viel älter. Den Beweis dafür liefert zum Beispiel eine im Jahr 2008 vom Landkreis Coburg selbst herausgegebene Broschüre mit dem Titel „150 Jahre Landratsamt Coburg“.
Darin verweist der damalige Landrat Karl Zeitler (SPD) auf Seite 4 darauf, dass der jüngste Landkreis in Bayern, nämlich Coburg, das älteste Landratsamt im weiß-blauen Land sein Eigen nennt. Vorsorglich fügt der Autor hinzu, damit sei nicht das Gebäude, wohl aber die Institution gemeint, deren Einrichtung auf Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg zurückgehe. Und spätestens jetzt erinnert sich jedes Kind von einer bestimmten Schulreife daran, dass das ehemalige Herzogtum Coburg nach seiner Auflösung am 1. Juli 1920 in den Freistaat Bayern freiwillig eingegliedert wurde.
Mit „50 Jahre Landkreis Coburg“ im Jahr 2022 eine Einladung zu überschreiben, war strenggenommen oberflächlich formuliert. Es passt also nicht in das Bild von stets korrekt handelnden Beamten. Wenn den Verantwortlichen jedoch partout nichts Besseres eingefallen ist, dann möge der geneigte Leser ihnen dies verzeihen.
Ein Körnchen Wahrheit steckt jedoch in der etwas unglücklichen Wortwahl. Vor fünf Jahrzehnten, am 1. Juli 1972, formierte sich der Landkreis Coburg neu und erhielt seinen heutigen Zuschnitt. Die damals in Kraft getretene Gebietsreform hatte in den eineinhalb Jahren zuvor ein politisches Erdbeben in Bayern ausgelöst. Aus 143 Landkreisen wurden 71, von den ehemals 7.100 Gemeinden – sie galten als Keimzelle der Demokratie – blieben 2.052 übrig. In Bayern gingen 32.000 ehrenamtliche Mandate verloren. Für den Landkreis Coburg bedeutete dies den Verlust stadtnaher, zum Teil steuerstarker Kommunen, wie zum Beispiel Creidlitz und Scheuerfeld. Gemeinden im Steinachtal wurden dem Nachbarkreis Kronach zugeschlagen, anderswo wechselten welche in den Landkreis Coburg, vor allem im Raum Seßlach.
Erstmals im Jahr 1971, wenige Monate nach der Landtagswahl im Herbst zuvor, gab die Bayerische Staatsregierung ihr Vorhaben bekannt. Bei einer internen Sitzung oberfränkischer Kommunalpolitiker in Bayreuth entfuhr dem Coburger Landrat Dr. Klaus Groebe das bis heute fast legendäre Wort „Sch…dörfer“, mit denen er einige im Südwesten des Coburger Landes meinte. Die gehörten damals politisch zum Landkreis Staffelstein, waren wirtschaftlich jedoch in Richtung Coburg orientiert.
Der Landkreis Staffelstein hatte erst im Frühjahr 1970 mit Ludwig Schaller (Nachfolger von Oskar Schramm aus Schottenstein) einen neuen Landrat bekommen. Und der ärgerte sich über seinen Kollegen Dr. Groebe so sehr, dass er dessen Ausrutscher ausplauderte.
Eine Welle der Empörung machte sich in der Region breit. Fast unbemerkt blieb dabei, dass es vor allem Dr. Groebe seinerzeit war, der schon mehrere Jahre zuvor auf eine Gebietsreform drängte, wie seine Initiativen zur Bildung der Gemeinde Lautertal und der heutigen Stadt Rödental belegten. Dass das Gesamtergebnis aber dann anders ausfiel als es der Wunsch Dr. Groebes war, ist längst Geschichte.
Dies und vieles andere rief Bezirksheimatpfleger Dr. Günter Dippold beim Festakt in der CO II in Erinnerung. Sein Referat war das Sahnehäubchen des Abends. Es erwies sich auch als positiv, dass Landrat Sebastian Straubel an den Vortagen viel dafür getan hatte, die Rednerliste möglichst kurz zu halten. Landtagsabgeordneter Michael Busch (SPD), einziger noch lebender Landrat aus den Zeiten vor dem derzeitigen Amtsinhaber, hätte sicherlich viel aus dem Nähkästchen erzählen können. Dessen Landtagskollege Martin Mittag (CSU) wiederum viel weniger, zumal er erst etliche Jahre nach Abschluss der Gebietsreform geboren wurde.
Zeitzeugen und Geschehnisse zwischen 1971 und 1978 hätten Dr. Dippolds Vortrag noch um einige Pointen ergänzen können.
Dr. Klaus Groebe hatte den Beinamen „schlauer Fuchs“. Als er nach nur achtjähriger Amtszeit ausschied, sahen in ihm nicht wenige Wegbegleiter einen „kranken Fuchs“. Wie’s dem auch sei: Zur damaligen Zeit gab es für die Bediensteten des Landratsamtes jährlich einen Wandertag. 1972 war Gemünda der Zielort. Zum gemütlichen Beisammensein ließ Dr. Groebe auch einen Vertreter des TSV Gemünda einladen. Der kam auch und wurde mit einem Fußball für die Aktiven beschenkt. Und Dr. Groebe zollte mit warmherzigen Worten „den Sportlern in den Schweißdörfern“ hohen Respekt. Daraufhin verstummte zusehends die Kritik an ihm.
Rathaus beflaggt
Vor allem für die Stadt Neustadt bedeutete die Gemeindereform einen tiefen Einschnitt. Sie verlor vor 50 Jahren ihre Kreisfreiheit und wurde daraufhin in den Landkreis Coburg eingegliedert. Dagegen wehrte sie sich zunächst sogar vor Gericht. Und wenn es schon sein musste, so argumentierte der Stadtrat, dann fordere Neustadt eine Entschädigung in Höhe von 20 Millionen D-Mark. Diese bekam die Stadt zwar nicht zugesprochen, aber immerhin sechs Millionen Deutsche Mark. Als der Gerichtsentscheid in Neustadt eintraf, ließ Oberbürgermeister Ernst Bergmann das Rathaus beflaggen.
Von der Souveränität Dr. Groebes und seinen Nachfolgern fehlt dem amtierenden Landrat sehr viel. Was nämlich sind die Gründe dafür, dass der Festakt „50 Jahre Landkreis Coburg“ auf so wenig Interesse unter den Mitgliedern des Kreistages fiel? Gefühlt hat etwa 2/3 von ihnen gefehlt, das sind rund 40 Frauen und Männer.
Wann haben die Kreisräte über den Festakt erfahren? Wer von ihnen hat eine Einladung erhalten? Per geschmackvoller Karte oder schmuckloser E-Mail?
Wer von dem 60-köpfigen Gremium ist trotz Zusage der Abendveranstaltung ferngeblieben, unentschuldigt? Die vorbereitenden Tische und die leeren Stühle sprechen für sich.
Diese und ähnliche Fragen haben wir der professionell besetzten Pressestelle am Landratsamt vorgelegt. Wenig professionell dagegen wirkt ihr Verhalten. Sie schweigt. Auf Anordnung „von oben“? Zwei Anfragen blieben unbeantwortet. Ist das Bürgernähe?
Werden Kreisräte auf ihr Verhalten am 1. Juli angesprochen, verweisen sie meist auf anderweitige Verpflichtungen, ohne oftmals konkret zu werden. Deshalb setzen wir den Schlusspunkt mit weiteren Fragen: Waren ihnen Sitzungen, für die sie Aufwandsentschädigung kassieren, wichtiger als die Teilnahme an dem Festakt 50 Jahre nach Neubildung des Landkreises Coburg? Erschien ihnen der schnöde Mammon wertvoller als ein Zeichen des Respekts gegenüber allen, die vor fünf Jahrzehnten Wegbereiter für den heutigen Landkreis Coburg waren?