„Wir haben einen Freund verloren“

Es gab Zeiten, da entsandte die Region Coburg bis zu einem halben Dutzend Abgeordnete in den Bayerischen Landtag – heute nur noch zwei. Und es gab Legislaturperioden, da war der Landkreis Coburg in zwei Stimmkreise geteilt. Der eine umfasste Coburg-Stadt und größere Gebiete des Landkreises, der andere, den südlichen Raum mit Itzgrund und Seßlach, Grub am Forst und Weidhausen, und der war dem Stimm- und Landkreis Lichtenfels zugeordnet.
So kam es, dass bei der Landtagswahl im Herbst 1974 im südlichen Landkreis Coburg erstmals nicht mehr Siegfried Möslein (CSU), Albert Koch (SPD) und andere heimische Kandidaten, sondern die im Nachbarkreis nominierten Bewerber verschiedener Parteien antraten. Einer von ihnen war der Neuling Otto Schuhmann (SPD). Ursprünglich hatte wieder Nikolaus Stamm (Schney), wie seit 1958, um die Wählergunst ringen sollen, doch der war in den ersten Mai-Tagen 1974 plötzlich gestorben.
Von Anfang an suchte Otto Schuhmann den direkten Kontakt zu den Menschen. In seinem ersten wie auch in den folgenden Wahlkämpfen waren ihm Plakate mit seinem Konterfei weniger wichtig als das persönliche Gespräch mit den Wählerinnen und Wählern. Diese lockte er beispielsweise mit Hilfe eines Megafons auf die Straße, durch die er in einem Fahrzeug fuhr.
Im Jahr 1974, wie auch weiterhin im damals noch vierjährigen Turnus, schaffte Otto Schuhmann jeweils über die Landesliste den Einzug ins Maximilianeum in München. Zwei volle Jahrzehnte lang.
Die Landespolitik allein war es nicht, für die sich Otto Schuhmann mit großer Leidenschaft engagierte. Der belesene Sozialdemokrat war Stadtrat in Burgkunstadt, später Gemeinderat in Altenkunstadt, gehörte 42 Jahre dem Kreistag des Landkreises Lichtenfels an und schließlich auch von 1994 bis 2003 dem Bezirkstag von Oberfranken.
Für Sorgen und Wünsche der Menschen in Dörfern wollte und war er Anwalt ihrer Interessen, ebenso wie für diejenigen in den Kommunen zwischen Obermain und Itz. Für ihn waren alle Aufgaben wichtig, die seine Heimat betrafen. Ob es um die Zukunft und den Wert der damals noch unter dem Namen „Fachhochschule Coburg“ agierenden Einrichtung für die Region ging, um das Korbmacherhandwerk oder um die ObermainTherme in (Bad) Staffelstein, Otto Schuhmann setzte sich für deren Fortentwicklung zielorientiert ein.
Rund drei Jahrzehnte gehörte der gelernte Diplom-Kaufmann und spätere Studienrat, der vor und auch noch nach seiner politischen Karriere als Berufsschullehrer in Bamberg, Bayreuth und Kulmbach tätig war, dem Therme Ausschuss des Lichtenfelser Kreistages an. Bei Sitzungen legte er großen Wert darauf, dass er immer auf demselben Stuhl am Ratstisch in der Nähe des Vorsitzenden sitzen konnte. Otto Schuhmann hatte eben seine Prinzipien.
Er war sowohl ein Gemüts- wie ein Genussmensch. Seine Kochkünste waren über seinen Bekanntenkreis hinaus bekannt. Und wo er nicht selbst am Herd stehen konnte, wusste er das politisch Nützliche mit dem Kulinarischen zu verbinden. Zwischen 1974 und 1994, dem Jahr seines Ausscheidens aus dem Bayerischen Landtag, organisierte er einmal jährlich eine abendliche Pressekonferenz mit „Wildentenessen“ auf der Karolinenhöhe bei Trieb (Landkreis Lichtenfels). Hierzu erschienen Politgrößen, wie beispielsweise Günter Verheugen oder Peter Glotz. Chefredakteure und Redaktionsleiter der verschiedenen Medien aus Bamberg, Bayreuth, Hof, Kulmbach, Lichtenfels und Coburg ließen sich diese Begegnungen nicht entgehen. Einmal wurden „24 Jünger der schreibenden Zunft“ gezählt. Das Echo im Blätterwald war enorm.
Am 15. März ist Otto Schuhmann im 81. Lebensjahr gestorben. Die letzten Jahre verbrachte er – oftmals nach folgenschweren Stürzen – in Kliniken oder daheim in Strössendorf, umsorgt von seiner Frau Susann Biedefeld (Landtagsabgeordnete von 1994 bis 2018), mit der er seit 2004 verheiratet war.
Politiker über Parteigrenzen hinweg würdigten in ihren Nachrufen Otto Schuhmann als einen aufrechten Demokraten, seine Bodenständigkeit und seinen Einsatz für die Region. Der Lichtenfelser Landrat Christian Meißner (CSU) dankte Otto Schuhmann für seine Arbeit ebenso wie Carsten Höllein, Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Coburg-Land. Altenkunstadts Bürgermeister Robert Hümmer (CSU) rief Otto Schuhmann, der im Dezember 2016 zum Ehrenbürger der Gemeinde ernannt wurde, ein herzliches Dankeschön nach. Die bayerische Staatsregierung ließ bei der Abschiedsfeier in der evangelischen Kirche einen Kranz als letzten Gruß niederlegen. Für viele Trauergäste galt, was mehrmals in Reden zum Ausdruck kam: „Wir haben einen Freund verloren.“
Horst Mitzel