Bad Rodach am Rande zur Schockstarre

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Bad Rodach am Rande zur Schockstarre

Verzicht eines Unternehmens auf Investitionen in Millionenhöhe bringt den Industrie- und Freizeitort in arge Bedrängnis

Die Gerüchteküche brodelte seit Wochen. Immer wieder drangen neue Nachrichten über andauernde Probleme durch die Fabriktore des größten heimischen Unternehmens nach draußen, wie es sie in diesem Ausmaß in Bad Rodach wohl noch nie gegeben hatte. Als die HABA Familygroup dann zum Monatswechsel März-April offiziell bekannt gab, ihr Management neu aufzustellen, gewannen die Spekulationen an Fahrt.

Unterdessen herrscht über die konsequente unternehmerische Entscheidung bittere Gewissheit: HABA wird sein seit längerer Zeit geplantes Projekt „Bau einer Produktionsstätte im neuen Gewerbegebiet an der Elsaer Straße“ nicht realisieren. Das bedeutet in der Folge, dass für die etwa 2.000 Beschäftigte (vorwiegend in Bad Rodach) zählende Firma zugleich kein Interesse mehr an den von der Stadt bereitgehaltenen Grundstücksflächen von 15 bis 20 Hektar besteht.

Ein schwerer Schlag für die ohnehin nicht auf Rosen gebettete Stadt im Nordwesten des Coburger Landes. Hinzu kommt nämlich, dass mit dem Verzicht auf die Investition auch der Verlust an Gewerbesteuer in Millionenhöhe verbunden ist. Deshalb hat die Stadt Bad Rodach schon eingestanden, dass sie für das laufende Jahr keinen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen kann. Und für die Zukunft sieht sie dunkle Gewitterwolken aufziehen.

Vor ein paar Monaten, ja sogar noch vor etwa sechs Wochen, sah für die Verantwortlichen in Bad Rodach die Welt noch ganz anders aus. HABA hatte vor geraumer Zeit Bürgermeister und Stadtrat wissen lassen, dass es weiter expandieren möchte. In Bad Rodach oder in Eisleben/Sachsen-Anhalt? Das war eine spannende Frage. „Die mögliche Konkurrenz war für uns Motivation“, sagt ein Insider. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln sei deshalb darum gerungen worden, HABA die Erweiterung seiner Produktionsstätte am Heimatort (seit 1938) zu ermöglichen.

Noch in der kurz vor Ostern erschienenen Ausgabe des Journals „SCHWARZ AUF WEISS“ des CSU-Ortsverbandes Bad Rodach ist auf Seite 11 zu lesen: „Eine für Bad Rodach zukunftsweisende Entscheidung geht mit der Aufstellung des Bebauungsplans Gewerbegebiet Elsaer Straße einher. Wir bedanken uns bei der HABA Familiengroup für die Standorttreue und freuen uns auf die angedachte Erweiterung der Produktion. Die neu erschlossene Grundstücksfläche umfasst ein Potenzial von rund 20 Hektar.“

Das war noch nicht alles. Mit sichtbarer Freude ergänzt die CSU: „Ministerpräsident Dr. Markus Söder überbrachte in diesem Zusammenhang einen Investitionszuschuss des Freistaates Bayern in Höhe von 2,3 Millionen Euro. Für ihren Unternehmensweg wünschen wir der HABA Familygroup alles erdenklich Gute und viel Erfolg.“

Das alles ist unterdessen Makulatur. So sehen es die Politiker in Bad Rodach, spätestens seit dem Abend des 17. April. Bei diesem Termin wurden sie in einer gemeinsamen Sitzung über den Rückzug des Familienunternehmens durch Bürgermeister Tobias Ehrlicher informiert. Einige Stadträte gestehen, schon mit einem etwas „mulmigen Gefühl“ gekommen zu sein. Schließlich sei so manches Gerücht auch an ihre Ohren gedrungen.

Es war schon eine etwas seltsame Sitzung Mitte April. Im öffentlichen Teil, so war zwei Tage später in der Neuen Presse zu lesen, habe der Stadtrat beschlossen, „für das 1125. Stadtjubiläum 2024 Ausgaben von 70.000 Euro zu veranschlagen. Mit Einnahmen in Höhe von 40.000 Euro wird gerechnet. Für das Markt- und Familienfest 2023 sind 7.ooo Euro, für den ‚Tag der Europäer‘ 5.000 Euro vorgesehen. Beide Budgets wurden einstimmig genehmigt.“

Das stimmt so nicht ganz. Nicht in der Stadtratssitzung am 17. April erfolgte ein entsprechender Beschluss, sondern in einer vorhergegangenen Sitzung. Aber nicht im öffentlichen Teil, sondern hinter verschlossenen Türen! Jetzt erfolgte die Freigabe, also die Information für die Öffentlichkeit.

Schon wenige Stunden später war die Mitteilung wertlos. Der Stadtrat hatte nämlich in vertraulicher Runde erfahren, wie sich die Entscheidung seines bisher stärksten Gewerbesteuerzahlers auf die Finanzen der Stadt auswirken könnte. Panische Angst fegte durch den Raum, denn die Sorge war nicht von der Hand zu weisen, dass die Stadt auf den hohen Grundstückskosten sitzen bleiben würde. Es soll sich um einen Betrag in Millionenhöhe handeln. Schließlich wurde die Verwaltung beauftragt, zeitnah eine Presseerklärung auszuarbeiten. Sie sollte veröffentlicht werden, zugleich auch den Stadträten als Argumentationshilfe dienen. Dann ging das Gremium auseinander. Es war dunkle Nacht. Zunächst über Facebook und später durch die heimischen Medien erfuhr die Bevölkerung, dass Bürgermeister Tobias Ehrlicher unter dem Eindruck der Geschehnisse die in den nächsten Wochen anstehenden Veranstaltungen „Markt- und Fischerfest“ sowie den „Tag der Europäer“ abrupt gestrichen hatte. Einen Stadtratsbeschluss, so wird parteiübergreifend versichert, gäbe es dafür nicht.

„Wenn er“ – gemeint ist der Erste Bürgermeister – „auch sonst so schnell wäre“, spottet einer seiner langjährigen Weggefährten. Und das ist keine Einzelkritik. Wäre es tatsächlich nicht besser gewesen, sich zunächst Rat und Hilfe von unabhängiger und besonnener Seite zu holen? Zum Beispiel auch bei den ehrenamtlich geführten Vereinen, die oftmals schon nach einem höflichen „Bitte“ zu hohem Engagement bereit sind? Wo bleibt „Bad Rodach begeistert!?“ Und kennt der amtierende Erste Bürgermeister keine Adresse, wo er für „sein“ Bad Rodach auch mal eine Spende bekommt?

Darüber wollten wir mit Tobias Ehrlicher sprechen. Er sollte Gelegenheit haben, seine Entscheidung zu begründen und dafür um Verständnis zu werben. Doch der „Meister der Bürger“, wie er sein soll und sein will, blieb für uns unerreichbar. Drückt er sich vor möglichen unangenehmen Fragen?

Die Finanzmisere kommt für das Stadtoberhaupt zur Unzeit. Für die ihn tragende Partei, die SPD, ist er zur Kandidatur für für den Bezirkstag von Oberfranken angetreten, der am Sonntag, 8. Oktober, zu wählen ist. Ehrlicher hat versprochen, kraftvoll um ein Mandat zu kämpfen. Hat er unter den gegebenen Umständen dafür Zeit ? Welche Prioritäten setzt er: Pflichtaufgabe oder Zubrot?

Abschließend als „Weckruf“: Die 1075-Jahr-Feier Rodachs im Sommer 1974 wurde auch nicht federführend von der Stadt ausgerichtet. Sie ist bis heute in Erinnerung, nicht minder wie das Jubiläum im Jahr 1999, als Bad Rodach sein 11oo-jähriges Bestehen feierte. Im Jahr 1974 hieß der Erste Bürgermeister Ernst Englmaier, Initiator der 1075-Jahr-Feier war mit Herzblut Egbert Friedrich. 25 Jahre später stand Gerold Strobel an der Spitze der Stadt.

Kommunikations-Leitfaden zur Absage des Grundstückskaufs

In 17 Zeilen fasst die HABA Familiengroup ihre Argumente für ihren Rückzug zusammen. Mit ihrem Schlusssatz setzt sie ein Zeichen.

„Verschiedene Einflüsse und Faktoren haben uns als Unternehmen zur Absage des Grundstückkaufs bewogen. Die schwierige Situation am Markt mit Preissteigerungen, Veränderungen in den Lieferketten und vielen Unsicherheiten, die sich durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft haben.

Diese Einflüsse machen sich auch mit einer Kaufzurückhaltung unserer Kunden bemerkbar.

Dazu kommt, dass sich Dinge anders entwickelt haben als geplant:

  • Die Einführung von *SAP stellt uns aktuell vor größere Probleme und Herausforderungen als erwartet: Unterschiedliche Anforderungen der Geschäftsprozesse für unsere Marken HABA, HABA PRO und JAKO-O sind sehr komplex und vielfältig.
  • Der Fokus liegt jetzt darauf, die Geschäftsprozesse zu optimieren, einwandfrei zum Laufen zu bringen, um damit den Kunden einen bestmöglichen Service zu garantieren. Gerade deshalb ist es jetzt sehr wichtig, sich darauf zu fokussieren.
  • Betriebsnotwendige Investitionen tätigen wir jetzt in die vorhandene Infrastruktur am Standort Bad Rodach, um unsere Prozesssteuerung zu optimieren und die HABA FAMILYGROUP mit gezielten Maßnahmen zu stabilisieren und zu sichern. Das werden wir jetzt alles in kleineren Schritten tun als ursprünglich geplant.
  • Der HABA FAMILYGROUP ist sehr daran gelegen, wie bisher – auch in Zukunft, ein starker Partner für die Stadt Bad Rodach und die Region zu sein.“

*SAP ist einer der weltweit führenden Anbieter von Software für die Steuerung von Geschäftsprozessen und entwickelt Lösungen, die die effektive Datenverarbeitung und den Informationsfluss in Unternehmen erleichtern.