Muss Seßlach auf Großveranstaltungen verzichten?

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Tourismus auf dem Prüfstand

Der Flohmarkt an Pfingsten, das Altstadtfest im August und der Adventsmarkt in der Vorweihnachtszeit – das sind drei markante Veranstaltungen in Seßlach, die jährlich von der Stadt ausgerichtet werden. Wird diese Angebotsliste noch um den Gaudiwurm am Faschingsdienstag ergänzt, den vorwiegend ehrenamtliche Idealisten organisieren, dann ist es ein respektables Verkaufs- und unterhaltsames Freizeitangebot, das in Organisation und Durchführung regelmäßig zu stemmen ist.

Mit seinem mittelalterlichen Stadtkern wirkte Seßlach, als es vor rund fünf Jahrzehnten im Zuge der Gebietsreform in Bayern vom damaligen Landkreis Staffelstein in den Nachbarkreis Coburg eingegliedert wurde, verträumt, um die Bewertung mit freundlicher Sympathie zu beschreiben. Längst war das „oberfränkische Rothenburg“, wie es oft genannt wurde, ein beliebtes Ausflugsziel vieler. Die Menschen pilgerten durch die verwinkelten Strässchen und Gässchen, meist ausgerüstet mit Fotoapparaten auf der Suche nach hübschen Motiven, die sie in relativ hohem Maße auch fanden. Danach ließen sich die Besucher das urige Seßlacher Bier bei einem preisgünstigen Mittagessen oder einer zünftigen Brotzeit in einer der Gaststätten munden.

Größtenteils hat sich daran bis heute nichts geändert. Nur aus den Gästen, die einst vorwiegend als Wanderer oder mit dem Fahrrad aus allen Richtungen (auch mit dem Postbus aus dem Coburger Land) Seßlach ansteuerten, sind längst vorwiegend Autofahrer geworden, die ihre Vehikel diesseits und jenseits der Stadtmauern abstellen. Und die Seßlacher selbst benötigen unterdessen für ihre eigenen Fahrzeuge immer mehr Parkplätze, was ein immer größer werdendes Problem für die Verantwortlichen bedeutet.

Damit sind weitere Schwierigkeiten angedeutet, die mit jeder Mammut-Veranstaltung zusätzlich entstehen. Zugleich wissen aber auch Stadt und heimischer Handel, Gewerbe und Handwerk, dass für Seßlach der Tourismus ein nicht unbedeutender Wirtschaftszweig ist. Aus dieser Erkenntnis heraus entstanden die oben erwähnten Großveranstaltungen in der 30-jährigen Amtszeit (1984 – 2014) von Bürgermeister Hendrik Dressel. Damit verbunden war die Gründung des Arbeitskreises Tourismus Seßlach und Umgebung e. V. und die Schaffung eines Tourismusbüros.

Letzteres wird seit Jahrzehnten von einer einzigen Person besetzt. Über lange Zeit hinweg war es nur eine Teilzeitstelle. Die erste Sachbearbeiterin erfüllte ihre Aufgabe mit Herzblut und war für Gäste wie für in der Freizeitbranche Tätigen das Gesicht des Tourismus Seßlach. Ihre Nachfolgerin hielt es bei weitem nicht so lange auf ihrem Stuhl, so dass vor knapp zwei Jahren ein erneuter Stabwechsel erforderlich war. Und jetzt hat die Dritte im Bunde ihr Arbeitsverhältnis gekündigt.

Seither bemühen sich Bürgermeister und Stadtrat eifrig darum zu versichern, dass die anstehende Trennung im besten Einvernehmen erfolgt. Die Mitarbeiterin habe ein lukratives Angebot eines großen Coburger Industriebetriebes bekommen und sich für die Annahme entschieden. Dafür gibt es allgemein Verständnis.

Die Trennung der beiden Vertragspartner kommt für Seßlach zur Unzeit. Pfingsten ist nicht mehr fern, um nur an die nächste anstehende Veranstaltung zu erinnern, deren Hauptlast bisher auf den Schultern der Tourismuskraft gelegen hat. Zugleich ist ihr Aufgabengebiet im Laufe der Jahre enorm ausgeweitet worden, was Außenstehenden oftmals verborgen geblieben ist. Es wäre jedoch schon gut gewesen, wenn sich das eine oder andere Stadtratsmitglied in der Vergangenheit mit der Gästewerbung und den damit verbundenen Pflichten öfters beschäftigt und auf manche Nörgeleien in Bagatellfragen verzichtet hätte.

Aber in Seßlach gibt es noch schwerwiegendere Probleme. Allen voran die nachlassende Bereitschaft einiger Inhaber gastronomischer Betriebe, sich persönlich an den Vorbereitungen und der Durchführung der genannten Großveranstaltungen zu beteiligen. Das war schon beim vorjährigen Altstadtfest zu erkennen, als Bürgermeister und Mitglieder des Stadtrates beim Ausschank des Bieres aus dem Kommunbrauhaus unterstützend eingreifen mussten, weil zumindest ein Gastronom seine Mitarbeit verweigerte.

Natürlich verweisen auch Seßlacher Wirte zu Recht auf bekannte Sorgen wie ihr fortgeschrittenes Alter, fehlenden Nachwuchs und Fachkräftemangel. Fehlt es aber manchmal nicht auch am guten Willen, sich in die Gemeinschaft einzureihen und im Interesse Seßlachs aktiv mitzuwirken?

Dazu kommt, dass nicht wenigen Bürgerinnen und Bürgern die Menschenmassen an den Festtagen und der durch sie erzeugte Lärm ein Dorn im Auge ist. Nach ihrer Meinung ist das Altstadtfest außerhalb der Stadtmauern beliebter als unter vielen Einwohnern.

So gilt es nach Lösungen zu suchen. Die Kommunalpolitiker kommen nicht umhin, den Tourismus in Seßlach auf den Prüfstand zu stellen. Welche Strategien sind kurz- und mittelfristig erforderlich? Wenn der Tourismus weiterhin eine Einnahmequelle für Stadt und Mittelstand bleiben soll, dann ist eine schonungslose Analyse unumgänglich. Jeder Wirtschaftszweig braucht Professionalität, soll er auf Dauer bestehen. Die könnte in Seßlach, zumindest im personellen Bereich, vernachlässigt worden sein.

Der Stadtrat hat sich kürzlich zu einem Klausur-Wochenende in die Rhön zurückgezogen. Erstmals! Bürgermeister Maximilian Neeb will neue Wege gehen. Auch im Tourismus?