Anerkennung für einen, der ein Stück Seßlacher Geschichte schrieb
Drei Jahrzehnte war Hendrik Dressel Erster Bürgermeister der Stadt Seßlach, dazu langjähriger Kreisrat und mehrere Jahre einer der beiden stellvertretenden Landräte des Landkreises Coburg. Zwei Tage nach seinem 70. Geburtstag wurde dem Kommunalpolitiker in seinem Heimatort Gemünda die Ehrenbürgerwürde verliehen. „Das Ehrenbürgerrecht ist die höchste Auszeichnung, die wir vergeben können und ein Zeichen der Wertschätzung“, sagte der amtierende Bürgermeister Maximilian Neeb (FW) bei der Feierstunde in der Schweizer Scheune.
Die Ehre dieser höchsten kommunalen Auszeichnung der Stadt wurde bisher „lediglich fünf Personen“ zuteil. Alle sind bereits verstorben. Mit der bereits seit längerem einstimmig vom Stadtrat beschlossenen Würdigung von Dressels politischem Wirken und seiner Lebensleistung solle ein Zeichen gesetzt werden: „Wir machen deutlich, wen unsere Stadt schätzt und wer ihr wichtig ist.“ In der Folge ging Neeb auf die „außerordentlichen Verdienste“ Dressels und „die damit verbundene erfolgreiche Entwicklung unseres Stadtgebietes“ ein.
Hendrik Dressels politische Karriere begann 1978, als der Landwirt erstmals in den Seßlacher Stadtrat gewählt wurde. Zur großen Überraschung vieler setzte sich der Protestant und Kandidat der Freien Wähler 1984 bei der Wahl zum Ersten Bürgermeister durch. Vier Mal bestätigten die Seßlacher Bürgerinnen und Bürger Dressel in seinem Amt. „Es gelang dir in deiner insgesamt 36-jährigen Wirkungszeit in der Kommunalpolitik, viele richtungsweisende und zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen und bedeutsame Schwerpunkte bei der Entwicklung der Stadt Seßlach zu setzen“, würdigte Neeb.
Stets bildete die städtebauliche Entwicklung – nicht nur in der Kernstadt, sondern auch in allen Stadtteilen – einen der Schwerpunkte von Dressels kommunalpolitischer Tätigkeit. Sein größtes Projekt lag innerhalb des Mauerrings. Neeb erinnerte: „Die Ackerbürgerstadt war in den Achtzigerjahren noch lange nicht das, was die sanierte Altstadt am heutigen Tag darstellt.“ Teilweise nicht oder nur spärlich befestigte Wege und mangelnde Abwasserbeseitigung waren selbst in der Kernstadt vorzufinden. Erst durch die Sanierung sei die Altstadt zur „Perle des Coburger Landes“ geworden. Von den zahlreichen Dorferneuerungsmaßnahmen in Dressels langjähriger Amtszeit profitierten dazu einige Stadtteile. Neebs Fazit: „Dank dieser Prozesse ist das Stadtgebiet Seßlach ein liebens- und lebenswerter Wohn- und Arbeitsort geworden.“
Um die Infrastruktur habe sich Hendrik Dressel ebenfalls verdient gemacht: Neubaugebiete wurden mit Blick auf drohende Leerstände in den Ortskernen dort ausgewiesen, wo sie sinnvoll erschienen. Nicht nur in zahlreiche Straßen, Wege, Rohre und Kanäle wurde investiert, Dressel habe sich auch um die Bildung verdient gemacht: Maßgeblich sei er am Aufbau der beiden städtischen Kindertagesstätten sowie an der Modernisierung und dem Ausbau der Grund- und Mittelschule beteiligt gewesen. „Deinem Verhandlungsgeschick und Weitblick ist es zu verdanken, dass wir den Mittelschulstandort Seßlach heute noch vorweisen können“, lobte der Erste Bürgermeister.
Von den vielen Pflichtaufgaben, die Dressel als Bürgermeister gemeinsam mit Stadtverwaltung und Stadtrat vorantreiben musste, stellte Neeb die Versorgung aller Stadtteile mit Trinkwasser und den Aufbau einer Abwasserbeseitigung über das gesamte Stadtgebiet hinweg als „riesige Aufgabe“ heraus. Als aktiver Feuerwehrmann habe das langjährige Stadtoberhaupt die aktiven Wehren stets unterstützt und gut ausgestattet. Ebenso sei es ihm im Bereich der Daseinsvorsorge gelungen, das Altenheim der Flender’schen Spitalstiftung zu modernisieren und den Betrieb weiter aufrecht zu erhalten. „Aber du hast weit mehr als die Pflichtaufgaben, die eine jede Kommune zu erfüllen hat, erledigt“, würdigte der 31-Jährige den Weitblick des neuen Ehrenbürgers. Dressel habe frühzeitig erkannt, „dass die Stadt Seßlach und das gesamte Stadtgebiet etwas Besonderes sind“. Neue Veranstaltungen und touristische Konzepte sorgten dafür, dass Seßlach weit über die Landkreisgrenze hinaus bekannt wurde.
Das dickste Brett, das Dressel nach eigenen Angaben in seiner Amtszeit zu bohren hatte, war der über ein Jahrzehnt dauernde Kampf um den Erhalt der Muggenbacher Tongruben, die einer Reststoffdeponie weichen sollte. Dank der Entdeckung von 78 seltenen Hautflüglerarten sind diese heute ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung. Als Sternstunde nicht nur seines politischen Lebens aber bezeichnet der damalige Bürgermeister stets die Grenzöffnung 1989. Im Schatten der innerdeutschen Grenze aufgewachsen, hatte sich der Gemünner lange nicht vorstellen können, dieses Bollwerk fallen zu sehen. „Natürlich mussten aber auch hier die mit der Wiedervereinigung einhergehenden Folgen bewältigt werden“, fügte Neeb hinzu. Als deutliches Beispiel für Dressels „scharfsinnigen Weitblick“ nannte das jetzige Stadtoberhaupt die Energiepolitik: „Die Fernwärme war damals ein Herzensprojekt von dir. Dank Deines Einsatzes und Deiner Überzeugungskraft ist es gelungen, eine nachhaltige Energieversorgung für das Stadtgebiet aufzubauen.“ Rund 20 Jahre vor entsprechenden Forderungen der Bundesregierung. Mit Weitblick sei Dressel zum Initiator der Initiative Rodachtal (IR) geworden. Von der länderübergreifenden interkommunalen Zusammenarbeit profitiere Seßlach noch heute.
„Dein Weitblick, deine innere Überzeugung und ein klares Ziel vor Augen: Das waren die Eigenschaften, die dazu beitrugen, die Entwicklung des Stadtgebietes Seßlach voranzutreiben“, fasste Neeb zusammen. Fair und auf Augenhöhe sei Dressel mit den Kollegen im Stadtrat umgegangen, stets zum Wohle der Allgemeinheit. Wie auch die Mitarbeitenden in der Stadtverwaltung habe er „alle mitreißen und dafür begeistern können, gerne für die Bürger dieser Stadt zu arbeiten“. Kritiker habe er spätestens bei einer Schnapsprobe auf dem heimischen Hof besänftigen können, schilderte Neeb mit Augenzwinkern.“
Grundtugenden hätten seinen Vorgänger ausgezeichnet: Dressel habe Entscheidungen „nach bestem Wissen und Gewissen“ für die Entwicklung Seßlachs getroffen, immer bereit, „hinzuzulernen und alles für das Stadtgebiet zu geben“. So habe er über einen langen Zeitraum Seßlacher Geschichte geschrieben.
Nachdem der 70-Jährige die Urkunde entgegengenommen hatte, trug er sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Als sichtbares Zeichen der Anerkennung und Würdigung überreichte Neeb dem neuen Ehrenbürger eine handgeschnitzte Figur von St. Johannes dem Täufer, dem Schutzpatron Seßlachs. Angefertigt wurde das Meisterwerk von Dressels langjährigen Wegbegleiter, dem vor vier Jahren verstorbenen Holzbildhauer Wolfgang Schott. Neeb schloss: „Bei ihrem Anblick sollst Du gerne an deine Zeit als Bürgermeister zurückdenken, herzlichen Glückwunsch!“
„Du stehst für eine erfolgreiche Sachpolitik“, zollte Landrat Sebastian Straubel dem Geehrten Respekt und Anerkennung. Dressel sei kein „Schreihals“, sondern ein Pragmatiker, dem Kirchturmdenken fern sei. Maßgeblich habe er dazu beigetragen, aus seiner Stadt ein Kleinod zu machen. „Wer heute im Coburger Land Urlaub macht, der kommt an Seßlach nicht vorbei.“ Dass auch die gesamte Region dem früheren stellvertretenden Landrat viel zu verdanken habe, zeige das Beispiel Landschaftspflegeverband: Als dessen Vorsitzender habe Dressel gegensätzliche Interessenvertreter zur Zusammenarbeit animiert. Ob Erhalt der Wanderwege, Kapelle an der Heiligenleite, IR oder die Stiftung „1150 Jahre Dorfgemeinschaft Gemünda“: „Überall hast Du Deine Spuren hinterlassen und vieles auf den Weg gebracht.“
Die Gründung der Stiftung gehe maßgeblich auf Dressel zurück, betonten Carsten Höllein und Harri Buchner in einem „Stammtischgespräch“. Dank ihm arbeiteten die Dorfvereine heute intensiv miteinander. Und mit der Idee zur Gründung der „Gemünder in Europa“ habe der 70-Jährige es geschafft, Menschen über Grenzen hinweg zusammenzubringen.
Mit Demut und Dankbarkeit nehme er die außergewöhnliche Ehrung entgegen, dankte Dressel bewegt. Es freue ihn, dass Neeb „nicht mit Zahlen, Daten und Fakten“ an seine kommunale Tätigkeit erinnert, sondern das Schicksal derjenigen in den Mittelpunkt gestellt habe, „die mit meinen bzw. unseren Entscheidungen leben mussten“. Er habe mitgestalten dürfen, „dass zusammenwächst, was zusammengehört“: Dressel erinnerte an den in Seßlach 1990 gegründeten Förderverein Veste Heldburg und die hier 1996 initiierte IR: „Wir haben bemerkt, alleine sind wir nichts, gemeinsam können wir viel mehr erreichen.“ An die Leistungen, aber auch Fehler der eigenen Geschichte gelte es zu erinnern: „Dieses Wissen sollte unser tägliches Handeln bestimmen, um die Zukunft in Frieden und Freiheit zu erhalten“, mahnte der Ehrenbürger. Auch die Bewahrung der Schöpfung müsse eine andauernde Pflichtaufgabe aller Entscheidungsträger sein.
Der Heimat fühlte sich Dressel immer verbunden, Kunst und Kultur förderte er, zu einheimischen Unternehmen pflegte er den Kontakt. Netzwerke waren ihm stets wichtig: „Unter sozialen Netzwerken verstehen wir heute Facebook, Instagram, Twitter und WhatsApp. Zu meiner Zeit verstanden wir darunter Kinderbetreuung, Jugend- und Sozialarbeit, Gesundheitsvor- und fürsorge, Diakoniestation, Seniorenbetreuung, Altenheim.“
Der Geehrte warnte davor, politische Entscheidungen nach der Meinung in den sozialen Medien zu fällen: „Politik braucht Visionen und Politiker, die die Bürger mitnehmen.“ Einrichtungen, wie die Flender’sche Spitalstiftung oder Regiomed müssten in kommunaler Verantwortung bleiben, forderte Dressel, doch sollten in den Aufsichtsgremien Fachleute sitzen. Auch das „Ineinandergreifen zweier Hände, der kirchlichen wie der politischen Gemeinde“ sei wichtig, sie bilde „ein gutes Fundament für die Stadt- und Dorfgemeinschaft“. Ebenso wandte sich der Wanderfreund gegen Aus- und Abgrenzung und bekannte sich zu einem „Europa der Regionen, nicht der Nationen“: „Die Unterschiede bei Sprache, Kultur, Landschaft und Traditionen stehen für Vielfalt – und das ist der wahre Reichtum Europas.“
Abschließend bekannte Dressel, dass in seinen 42 Jahren als Kommunalpolitiker „nicht alles Gold“ gewesen sei, gerade 30 Jahre als Bürgermeister hätten auch bei ihm „Spuren und Kratzer“ hinterlassen, den „Spagat zwischen Amt und Familie“ habe er nicht gut hinbekommen. Den Bürgern wünschte er neben Gemeinsinn auch Nachsicht, denn: „Politische Mandatsträger sind auch nur Menschen.“
Bettina Knauth