Interview mit Carsten Höllein, Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Coburg-Land

Sozialdemokraten zwischen Selbstkritik und Hoffnung

Seit fast eineinhalb Jahrzehnten an der Spitze des SPD-Kreisverbandes Coburg-Land: Carsten Höllein

Herr Höllein, die Landtagswahl in Bayern liegt rund zwei Monate zurück. Für die SPD in Coburg-Stadt und -Land gab es ein enttäuschendes Ergebnis. Hat sich der Kreisverband Coburg-Land, dessen Vorsitzender Sie seit 13 Jahren sind, von diesem Schock bereits erholt?

Höllein: Richtig ist, dass die SPD in Bayern – und damit auch wir hier in Stadt und Landkreis Coburg – unser Wahlziel nicht erreicht haben. Es ist selbstverständlich enttäuschend, da wir gerne im Vergleich zu 2018 wieder Stimmen hinzugewonnen hätten. Mein Wunsch wäre es gewesen, Stefan Sauerteig zum Einzug in den  Bayerischen Landtag und Tobias Ehrlicher als neuen Bezirksrat zu gratulieren. Leider haben die Wähler eine andere Entscheidung getroffen. Das müssen wir so akzeptieren. Umfragen im Vorfeld der Wahl hatten bereits erwarten lassen, dass bei der SPD am Wahlabend keine Feierstimmung aufkommen wird. Deshalb war ich gewappnet für das, was uns erwartet. Aber man hofft natürlich bis zum Schluss auf ein besseres Ergebnis.

Auch auf Bezirksebene gab es Wahlen, auch hierbei ging die SPD Coburg Stadt und -Land (wieder) leer aus. Wo lagen die Gründe für das miserable Abschneiden? 

Höllein: Der Bezirk gilt zwar als dritte kommunale Ebene in Bayern, aber seine Wahl findet traditionell immer mit der Landtagswahl statt. Hinzu kommt, dass beide Wahlsysteme identisch sind. Deshalb wird die Abstimmung über den Bezirk oft nur als Anhängsel der „großen“ Schwester wahrgenommen. Das hat zur Folge, dass die Wahlergebnisse wenig voneinander abweichen. Die Ursachen für unser Abschneiden gelten deshalb für Landtags- und Bezirkswahl gleichermaßen. Eine örtliche Besonderheit war dieses Mal, dass gleich drei Stimmkreisbewerber aus dem Stadtgebiet Bad Rodach kamen.

Vor fünf Jahren gab es ein ähnliches Bild: Die SPD verlor – und wollte dann die Niederlage „aufarbeiten“. Hat sie das jemals getan? Welche Konsequenzen hat sie aus der Schlappe 2018 gezogen? 2023 kam es doch noch dicker …

Höllein: Die BayernSPD hat bei ihrem Kleinen Landesparteig Anfang November beschlossen, eine Kommission einzurichten, die sich mit der Landtagswahl und ihren Folgen für die Partei beschäftigen soll. Insofern nimmt sich die SPD im Freistaat die Zeit, um über das schlechte Abschneiden zu diskutieren und Ursachen herauszuarbeiten. Nach meiner Auffassung gibt es nicht nur eine Erklärung für das Ergebnis, sondern es hat mehrere Gründe. Einer ist sicherlich, dass die Bundesregierung aktuell stark in der Kritik steht. Alle Landtagswahlen in Bayern, die in die Zeit einer SPD-geführten Bundesregierung fallen, hat die CSU genutzt, um gegen „die in Bonn oder Berlin“ Stimmung zu machen und um von eigenen Versäumnissen, zum Beispiel in der Regionalpolitik oder beim Thema Ganztagsbetreuung, abzulenken. Die SPD muss sich die Kritik gefallen lassen, dass sie trotz dieser Tatsache an ihrer Themenwahl festgehalten hat. Auch hat unser Spitzenkandidat Florian von Brunn viel zu sehr Aiwangers Flugblatt-Affäre in den Mittelpunkt gerückt. Viel zielführender wäre es gewesen, sich mit seiner Politik als Wirtschaftsminister im Hier und Heute zu beschäftigen

Was also soll oder muss auf Stadt- und Kreisebene Coburg geschehen, um nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten? Haben Sie in Ihren Reihen überhaupt noch Hoffnungsträger, wie steht es um den Nachwuchs? 

Höllein: Unsere Region kann sich nur bedingt vom Trend im Freistaat Bayern und im Bund abkoppeln. Es hat sich bis heute gezeigt, dass bei Wahlen für überörtliche Parlamente vor allem die Stimmung für oder gegen eine Partei den Ausschlag gibt. Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die Bundestagskandidatur 2013 des damaligen Zweiten Bürgermeisters der Stadt Coburg Norbert Tessmer, der anerkannt und respektiert war und ist, dennoch selbst in der Stadt Coburg stimmenmäßig nicht vorne lag. Ein Jahr später hat er dort haushoch die Oberbürgermeisterwahl gewonnen.

Deshalb möchte ich bei aller Kritik am Abschneiden der SPD in Bayern eine Lanze für Stefan Sauerteig brechen: Er hat sich von Platz 7 auf der oberfränkischen SPD-Liste auf Rang 3 vorgekämpft. Vor dem Hintergrund der Ausgangsbedingungen: schlechter Trend für die SPD. Darüber hinaus hatte sie keinen Abgeordneten mehr im Bayerischen Landtag, weil der vorherige Mandatsinhaber unterdessen die SPD verlassen hat. Deshalb ist das erzielte Ergebnis nicht so schlecht. Auch Ramona Brehm lag bei der Bundestagswahl 2021 im landesweiten SPD-Durchschnitt ganz oben. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Hausaufgaben nicht zu machen haben. Selbstverständlich gilt es, jungen Leuten eine Chance zu geben. Bei den vergangenen Wahlen haben wir das mit Ramona Brehm und Stefan Sauerteig bereits getan.

Ringen um die Zertifizierung des Zweiländerweges

Stichwort Glaubwürdigkeit: Im Sommer des laufenden Jahres war Thüringens Innenminister Georg Maier zu Gast im Coburger Land. Maier ist zugleich Landesvorsitzender der SPD in Thüringen. Ihm haben Sie im Beisein ihres Parteifreundes und damaligen Landtagskandidaten Stefan Sauerteig im Seßlacher Raum ein Anliegen vorgetragen. Um welches handelte es sich? 

Höllein: Die Initiative Rodachtal und ihr Wanderwart Hendrik Dressel haben sich zum Ziel gesetzt, den Zweiländerweg zertifizieren zu lassen. Die Kriterien dafür sind sehr streng, unter anderem darf nur ein kleiner Teil des Weges asphaltiert sein. Konkret war der Gedanke, einen davon über einen Wiesenpfad an der Heiligenleite zu führen. Dieser liegt bereits auf Thüringer Seite. Die Stiftung Naturschutz in Thüringen hat die Einbindung dieses Übergangs abgelehnt, weil dieser durch das „Grüne Band“ führt. Andere naturschutzfachliche Experten hatten dagegen keine Einwände. Wir hatten Georg Maier unser Anliegen vorgetragen, er hatte uns eine Prüfung zugesagt.

Und was ist daraus geworden? Hat sich Georg Maier dazu unterdessen geäußert, hat er Ihren Wunsch weitergegeben, ist eine Entscheidung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger erfolgt? 

Höllein: Innenminister Georg Maier hat uns eine Prüfung versprochen, aber bereits darauf verwiesen, dass es schwierig wird, die Stiftung umzustimmen. Hendrik Dressel hat für die Initiative Rodachtal nach alternativen Routen gesucht und gefunden. Mittlerweile hat es auch einen Ortstermin mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Hildburghausen gegeben, die ihre Zustimmung zu den Vorschlägen für die Wegführung ohne den angedachten Pfad gegeben hat. Die Initiative Rodachtal ist – so bei der Mitgliederversammlung in Ahorn-Witzmannsberg vorgetragen – guter Dinge, die Zertifizierung zu erreichen.

Braucht der Landkreis Coburg ein eigenständiges Medium?

Beim Jahresauftakt der SPD-Kreistagsfraktion in Seßlach haben Sie „leise“ Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit des CSU-Landrates Sebastian Straubel geübt. Unterdessen hatte das Landratsamtes vorübergehend zwei Pressesprecher, Was meint der Kreisrat Höllein dazu? 

Höllein: Ja, ich habe Kritik an der Ausweitung der Stellen in der Öffentlichkeitsarbeit geübt. Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit – zur Wahrheit gehört aber auch, dass gerade die CSU/LV-Kreistagsfraktion den SPD-Landräten in der Vergangenheit eine eigene Stelle für Öffentlichkeitsarbeit verweigert hat. Jetzt sind es plötzlich zwei. Seit Kurzem hat der Landkreis Coburg eine eigene Zeitung, sicherlich kann man darüber diskutieren, ob mit dem Rückzug der heimischen Lokalmedien aus der Berichterstattung von Vereinen sowie aus den Stadt- und Gemeinderäten ein eigenständiges Medium notwendig ist, um die Bürger zu informieren. Die entscheidende Frage ist aber, wer entscheidet über die Inhalte? Wenn es nur der Öffentlichkeitsarbeit des Landrates dient, ist es mir zu wenig. Auch wir Kreisräte sind Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Kommen wir dort auch zu Wort? Gibt es auch kritische Beiträge? Werden vorbildliche Projekte vorgesellt und das Ehrenamt gewürdigt? Bisher ist eine Antwort darauf offen geblieben.

Hinter dem Coburger Kreistag liegen bereits mehr als 50 Prozent der Legislaturperiode. Auch die SPD-Fraktion ist in den letzten Jahren stark geschrumpft. Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Wahlergebnis im Jahr 2026 zu verbessern? 

Höllein: Wir haben in den vergangenen Jahren im Kreistrag bewiesen, dass wir sachlich und bürgerorientiert arbeiten. Dabei gilt es für uns als SPD-Kreistagsfraktion, dass wir Themen in der Bevölkerung aufgreifen und dabei unsere Schwerpunkte setzen. Dabei geht es für uns immer darum, den sozialen Zusammenhalt in unserem Landkreis auch in Zeiten der Krise zu bewahren und die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Wohlstands sicherzustellen – Stichwort Fachkräftemangel. Hinzu gekommen sind die Herausforderungen des Klimawandels, die alle politischen Ebenen beschäftigen. Aktuell fehlt mir persönlich die Entwicklung einer Perspektive für unseren Landkreis. Im Tagesgeschäft der Gremien kommt mir der Blick in die Zukunft zu kurz – gerade vor dem Hintergrund knapper Finanzen sind pfiffige Ideen gefragt. Wie wollen wir künftig hier leben? Wie sieht das Leben auf dem Dorf in 20 Jahren aus? Welche Formen von Mobilität sind zu erwarten? Vieles bleibt Aufgabe der Städte und Gemeinden vor Ort, allerdings kommt dem Landkreis eine koordinierende Aufgabe zu, weil alle Kommunen ähnliche Probleme haben. Seit dem Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) vor einigen Jahren, bei dem es vor allem um Lösungen für den demografischen Wandel ging, ist wenig passiert in dieser Richtung. Wir müssen uns als SPD mit diesen Fragen beschäftigen, um selbst Ansätze zu entwickeln. Unser Ziel ist es, bei der Kreistagswahl 2026 mit einer Liste anzutreten, die Erfahrung und Aufbruch miteinander verbindet.

Kliniken müssen in öffentlicher Hand bleiben

Hat Regiomed, der von Coburg-Stadt und -Land getragene Klinikverbund, nach Ihrer Meinung eine reelle Chance, in Zukunft zu bestehen? Welche Probleme sehen Sie in diesem Zusammenhang auf den Landkreis Coburg zukommen?

Höllein: Nach meiner Einschätzung steht die medizinische Versorgung in unserer Region insgesamt vor großen Herausforderungen: Krankenhausreform, Klinikneubau und Strukturveränderungen. Es wird nicht leicht sein, diese anzugehen und zu meistern. Dennoch bin ich optimistisch, dass es der Stadt und dem Landkreis Coburg sowie dem gemeinsamen Zweckverband gelingt, in den nächsten Monaten und Jahren die richtigen Weichen zu stellen. Regiomed und die beteiligten Gebietskörperschaften haben sich entschieden, die Kliniken wieder in die Verantwortung in die örtliche Zuständigkeit zu geben. Dabei soll  Regiomed für Querschnittsaufgaben, Einkauf, Medical School und die Zentralküche als Hülle erhalten bleiben. Ob dies gelingt, hängt von davon ab, wie der Restrukturierungsprozess abläuft. Wichtig ist künftig, dass Führung und Kontrolle gewährleistet ist, das Management notwendige Entscheidungen in angemessener Zeit treffen kann und wir ein medizinisches Konzept für die Zukunft entwickeln können. Für mich als Sozialdemokraten ist es von großer Bedeutung, dass unser Klinikum in öffentlicher Hand bleibt.

Sie sind nicht nur Mitglied des Coburger Kreistages, sondern gehören auch dem Seßlacher Stadtrat an. Wird in beiden Gremien zu viel „nichtöffentlich“ beraten? 

Höllein: Laut Landkreis- und Gemeindeordnung gilt das Prinzip der Öffentlichkeit – soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche einzelner entgegenstehen. Ich beobachte auch, dass in den Stadt- und Gemeinderäten sowie im Kreistag allgemein die Tendenz zunimmt, kritische Themen nichtöffentlich zu behandeln. Wieder mehr Öffentlichkeit könnte nicht schaden, um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Vertraulichkeit sollte auf Personalangelegenheiten, Grundstückverkäufe oder Themen, deren öffentliche Diskussion massive Folgen für Einzelne hätte, beschränkt bleiben.

Der Zugang zu Sitzungen schafft noch keine Öffentlichkeit

Wäre es Ihrer Meinung nach oftmals nicht effektiver, manche Themen öffentlich zu beraten? Haben Sie dies sowohl im Kreistag als auch im Stadtrat schon einmal gefordert?

Höllein: Meinen Sie mit „effektiver“ die Qualität der Entscheidungen? Als überzeugter Demokrat bin ich der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen sollten, was in ihrem gewählten Gremium entschieden wird. Allerdings erzeugt die Öffentlichkeit nicht zwangsläufig bessere Ergebnisse und Diskussionen. Der Zugang zu Sitzungen schafft noch keine Öffentlichkeit. Dazu gehören auch interessierte Menschen, die kommen und zuhören. Auch erleben wir aktuell einen Rückzug der Lokalmedien aus der Berichterstattung in Stadt- und Gemeinderäten, zum Teil auch aus dem Kreistag, wie schon erwähnt. Die Frage, die sich alle Kommunalpolitiker stellen müssen, ist: Wie erhöhen wir das Interesse an der Arbeit in den Gremien insgesamt. Dabei kann die Öffentlichkeit von Sitzungen ein Baustein sein. Öffentlichkeit haben meine Kollegen und ich schon einmal gefordert. In der Zeit von 2014 bis 2018 wurde der Maßnahmenkatalog der Stadt Seßlach plötzlich nur noch nichtöffentlich vorgestellt. Dagegen haben wir uns als Stadtratsfraktion gewehrt. Auch haben wir in einer Sitzung dafür gesorgt, dass der Stadtrat das Thema Freibad/Freizeitanlage Autenhausen öffentlich diskutiert.

Interview: Horst Mitzel