„Tag des Handwerks“ in Seßlach

Nicht nur das Studium ebnet den Weg zur Karriere

Was macht ein Modellbauer? Für Corinna Frerichs (rechts) ist es „der spannendste Beruf der Welt“. Am „Tag des Handwerks“ in der Seßlacher Industriestraße bekam die Prokuristin die Gelegenheit, Achtklässlern des Ernestinums Coburg ihren Modellbaubetrieb und dessen Produkte zu erklären. Foto: B. Knauth

Ministerpräsident Dr. Markus Söder rief ihn aus, den verpflichtenden „Tag des Handwerks“ an allen allgemeinbildenden Schulen. Denen bleibt es überlassen, wie sie bei ihren Schülerinnen und Schülern das Interesse an praktischen Berufen wecken. In Seßlach konnten drei achte Klassen des Coburger Gymnasiums Ernestinum in gleich vier unterschiedliche Betriebe in der Industriestraße reinschnuppern. „Das könnte ein Paradebeispiel sein, wie sich die Maßnahme umsetzen lässt“, mutmaßte Heinz Gilbricht (Geiss AG) zu Beginn des kompakten Informationstages.

„Soll ich dafür etwa Abitur machen?“ Der 13-jährige Max stand mit seiner Antwort auf die Frage, ob er sich das Erlernen eines Handwerks vorstellen könne, zu Beginn wohl stellvertretend für die Skepsis vieler Gymnasiasten. Kurz zuvor hatten sich die vier beteiligten Seßlacher Betriebe mit ihren Ausbildungsberufen den rund 80 Achtklässlern vorgestellt. Neben dem „Hidden Champion“ Geiss präsentierten sich Modellbau Frerichs, die Hoffmann GmbH und die Kuttner Möbelfabrik. Die Geiss AG, mit 140 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in Seßlach, liefert Thermoformmaschinen weltweit und bildet Feinwerkmechaniker, Elektroniker für Betriebstechnik, Mechatroniker und Kaufleute für Büromanagement aus. Die Bereitschaft zu lernen und Leistung zu zeigen, nannte Geschäftsführer Wolfgang Daum als Kernkompetenz. 30.000 verschiedene Schränke entstehen in der Kuttner GmbH & Co. KG jedes Jahr. Dort kann der Beruf des Holzmechanikers erlernt werden. Federkerne sind das Metier der Hoffmann GmbH, wo Maschinen- und Anlagenführer sowie Industriekaufleute ihr Handwerkszeug erarbeiten können. Um den Nachwuchs der technischen Modellbauer und Produktdesigner sowie Zerspaner kümmert sich die über 100 Jahre alte Firma Frerichs.

Dorthin machte sich eine der vier Schülergruppen, zu denen auch Max gehörte, als erstes auf den Weg. Die anderen teilten sich auf die übrigen drei Unternehmen auf, beim Rundgang präsentierte jede Firma Fallbeispiele für die einzelnen Berufsbilder. Alle 45 Minuten wurde gewechselt. Aktuell bildet der Modellbaubetrieb Frerichs nicht aus. Was nicht an dessen fehlenden Bereitschaft liegt. „Wir suchen dringend Auszubildende“, bestätigte Prokuristin Corina Frerichs. Für sie stand daher schon lange fest: „Wir müssen etwas auf die Beine stellen!“ Auch, um den zukünftigen Absolventen attraktive Ausbildungsmöglichkeiten im Kreisgebiet vor Augen zu führen: „Als Gegenpol zu den großen Arbeitgebern in Coburg finden sich hier viele, gerade familiär geführte Firmen.“

„Bei uns wird nicht nur am Computer gearbeitet, hier fallen Späne“, beschrieb die Seßlacherin der Gruppe die Arbeitsbedingungen im Modellbau. Sie riet den Gästen, beim Besuch des laufenden Betriebs besser die Finger bei sich zu lassen. Fotos oder Selfies waren in keinem der vier Betriebe erlaubt. Den Beruf des Modellbauers bezeichnete Frerichs als „schönsten und vielseitigsten der Welt“, ermögliche er doch das Arbeiten mit allen Materialien. Auf keinen Fall sei er nur etwas für Jungen. Bestes Beispiel: Ihre Mutter Gertrud, noch heute Alleininhaberin der Firma, die als erste in Deutschland die Gesellen- und auch die Meisterprüfung ablegte. „Meine Mutter ist die bekannteste Modellbauerin Deutschlands“ sagte sie über die 72-Jährige.

Ziel der Aktion war es, den Gymnasiasten zu zeigen, dass das Bildungssystem heute extrem flexibel ist. Karriere, Weiterbildung oder Studium mit Lehre sind durchaus möglich. Um das Handwerk dem Studium gleichzustellen, ist die Meisterausbildung inzwischen kostenlos. Master und Meister sollen gleichwertig sein, betonte Ministerpräsident Söder zuletzt beim Freischalten der neuen Vermittlungsplattform www.tagdeshandwerks-bayern.de anlässlich der Internationalen Handwerksmesse in München. Dort sollen Schulen für den Aktionstag nach Veranstaltungsangeboten suchen können, die Kammern, Innungen, Verbände und Betriebe eingestellt haben.

Soweit die Theorie. Den Jugendlichen bekannte und unbekannte Handwerksberufe nicht nur theoretisch vorzustellen, sondern sie ihnen auch praktisch nahezubringen, erweist sich als nicht so leicht. „Die Umsetzung bleibt einzelnen Schulen überlassen“, bestätigte Simone Volk, die am „Ernes“ als Koordinatorin für berufliche Orientierung zuständig ist. Über die Buchungsplattform der Handwerkskammer wurde sie auf die Seßlacher Firmen aufmerksam. Die Geiss AG offerierte die Aktion anfangs allen Coburger Gymnasien, die Firma Frerichs wollte ursprünglich nur eine Klasse nehmen. „Gerade kleinere Firmen können dieses Angebot nicht leisten“, fand Daum. So kam es zu der gemeinschaftlichen Aktion.

Im Nachhinein zogen Frerichs wie Gilbricht ein positives Fazit. „Es ist gut gelaufen, die Schüler zeigten sich offen und stellten gut Fragen“, meinte der bei Geiss fürs Marketing Verantwortliche. Die Erkundungstouren zeigten, dass die Gymnasiasten bisher keine Gelegenheit hatten, in solch praktische Berufe reinzuschnuppern. „Wir haben ihnen gezeigt: Wer zuerst einen Beruf erlernt und dann im Nachgang ein Studium absolviert, dem stehen im Berufsleben alle Türen offen, besonders im Handwerk“, so Gilbricht. „Nach der dritten oder vierten Runde waren alle ziemlich platt“, fand Frerichs. Sie lobte das Timing der Veranstaltung und die Zusammenarbeit der vier Firmen. Einig waren sich beide allerdings darin, dass die Achtklässler für die Berufsorientierung noch sehr jung sind. Frerichs: „In dem Alter sind sie noch zu weit vom Berufsleben entfernt.“

„Die achte Jahrgangsstufe haben wir bewusst ausgewählt, da im kommenden Schuljahr verstärkt berufliche Orientierung im Unterricht und auch eine Woche Betriebspraktikum verpflichtend anstehen“, erläutert Volk. Am „Tag des Handwerks“ konnten so alle schon einmal in die Berufswelt schnuppern. Ein Schüler habe spontan geäußert: „Ich weiß schon, dass ich bei Frerichs nächstes Jahr mein Praktikum machen möchte.“ Einblicke in viele verschiedene Ausbildungsberufe im Handwerk an einem Vormittag zu erhalten, das sei eine Chance, die sich sonst nicht biete, zeigte sich auch Volk zufrieden.

Bettina Knauth