Der Bundeskanzler im „Land der Mutmacher“

„Wir brauchen einen starken Osten“

Über 1.000 Menschen sind an diesem Novemberabend in die Weimarhalle der 66.000 Einwohner zählenden Stadt zwischen Erfurt im Westen und Jena im Osten gekommen. Sie sind Gäste der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, die ihr 35-jähriges Bestehen feiert.

Jetzt warten die aus vielen Teilen des Freistaates angereisten Frauen und Männer aus Politik und Wirtschaft sowie dem Ehrenamt – fast im Dunkeln sitzend – auf den Ehrengast. Große Scheinwerfer sind nur auf die Eingangstür an der linken Saalfront gerichtet. Dort erscheint um 18.15 Uhr der Mann, der die Festrede halten wird: Bundeskanzler Friedrich Merz (70). 30 Minuten spricht er, mehrmals von Beifall unterbrochen. Sein Kernsatz: „Für ein starkes Deutschland brauchen wir einen starken Osten.“

Nun sind dreieinhalb Jahrzehnte nicht unbedingt ein Grund, zu feiern oder sich feiern zu lassen. Doch die CDU freut sich, nach einem Jahrzehnt der Entbehrungen und der Opposition, wieder im Land der „Dichter und Denker“ das politische Sagen zu haben, wenn auch „nur“ in einer sogenannten Brombeer-Koalition mit BSW und SPD, die zusammen 44 von 88 Abgeordnete zählt. Weimar ist nicht ohne Grund als Treffpunkt gewählt worden. Der Bundeskanzler wird in seiner Rede darauf eingehen.

Seit Dezember vorigen Jahres stellt die CDU in Thüringen wieder den Regierungschef, mit Dr. Mario Voigt (48) den siebten aller in den vergangenen 35 Jahren. Aktuell auch den jüngsten Ministerpräsidenten in Deutschland.

Beifallsfreudig ist das Publikum während des gesamten Festaktes. Schon Dr. Andreas Bühl, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag, erhält während seiner Eröffnungsrede insgesamt 15-mal Applaus. Zum Beispiel, als er sich direkt an den Bundeskanzler wendet: „Immer wenn Sie Klartext reden, haben Sie wohl die Mehrheit der Menschen hinter sich.“ Dr. Bühl stellt auch die Frage in den Raum, „was will Thüringen sein?“, um sogleich die Antwort selbst zu geben: „Ein Land der Mutmacher.“

Im Publikum sitzen viele ehemalige Landtagsabgeordnete, Minister und auch zwei ehemalige Ministerpräsidenten: Dieter Althaus (2003- 2009) und Christine Lieberknecht (2009-2014). Ihre Vorgänger aus den Reihen der CDU waren Josef Josef Duchač (1990-1992) und Dr. Bernhard Vogel (1992-2003). Letzterer ist im März des laufenden Jahres im gesegneten Alter von 92 Jahren gestorben, aber in allen Reden und später beim Stehempfang kommt bei den Menschen das Gefühl auf, Bernhard Vogel sei unter ihnen. Sein Einsatz für Thüringen, für das er mit großer Leidenschaft kämpfte, ist allgegenwärtig. Wer aber erinnert sich noch an Josef Duchač? Wenige.

Ministerpräsident Dr. Voigt schlägt in seiner Rede eine Brücke zum Klartext, als er Maßnahmen nennt, die für Thüringen einen Neuanfang bedeuten: Arbeitsame und integrationswillige Zuwanderer seien willkommen, nicht aber jene, die nur von Sozialleistungen lebten oder gar straffällig würden. Man werde es nicht zulassen, „dass auf unserem Rücken herumgetanzt wird“, sagt der Regierungschef. Natürlich sei es auch das Ziel der Landesregierung, die Bürokratie abzubauen, benennt Dr. Voigt als ein weiteres Vorhaben. „Hoffentlich“, seufzt ein Unternehmer aus dem südthüringischen Raum. Platznachbarn nicken, in ihren Gesichtern spiegelt sich Skepsis wider.

Welche klaren Worte werden vom Bundeskanzler zu hören sein?  Bei aller Kritik an ihm bleibt vielen nicht verborgen, dass der Mann aus dem Sauerland spricht, wie es seit 20 Jahren kein Kanzler mehr getan hat. Als Friedrich Merz um 19.17 Uhr ans Rednerpult tritt, wächst die Aufmerksamkeit im Saal. Schon nach wenigen Minuten ist klar: Der Mann, der für die freie Rede bekannt ist, liest jetzt ab. Es ist deutlich zu erkennen, wie Merz wohl nicht Wort für Wort, aber Satz für Satz immer wieder nach unten auf seine Vorlage schaut.

Die CDU Thüringen feiere ihr 35-jähriges Bestehen in Weimar, wo 1919 im nur wenige Schritte von der Weimarhalle entfernt liegen Nationaltheater die erste frei gewählte Nationalversammlung stattfand und die erste demokratische Verfassung für Deutschland verabschiedet wurde, ruft Bundeskanzler Merz in die Erinnerung zurück. Nach ihrem Gründungsort nenne man die junge Demokratie „Weimarer Republik“. Weimar sei aber auch kulturell einer der wichtigsten Orte Deutschlands. Große Künstler wie Goethe, Schiller und Bach haben in der „Klassikerstadt“ gelebt.

In dieser geschichtsträchtigen Stadt hat sich also die thüringische Union mit dem Bundeskanzler eingefunden, um Rückschau zu halten, zugleich aber auch den Blick nach vorne zu richten. Friedrich Merz würdigt den „Aufbau Ost“ mit vielen Worten, an dem die CDU, mehrere Jahre mit der absoluten Mehrheit durch das Wählervolk ausgestattet, entsprechenden Anteil habe. Der Bundeskanzler fordert dazu auf, sich mehr „zuzutrauen, vielleicht auch mehr zuzumuten“. Später gibt’s für den Gast aus Berlin einen Korb voller Nougat, eine Spezialität aus Ilmenau. Und ein „grünes Herz“ darf natürlich auch nicht fehlen. Die Gäste können einen Jahreskalender mit nach Hause nehmen. Dazu Dr. Bühl: „Monat für Monat öffnet sich der Blick auf Orte, Landschaften und Momente, die unser Land prägen und liebenswert machen. Denn Heimat ist Herzenssache und Thüringen hat viel zu bieten.“ Auf der letzten Seite des Kalenders sind die Konterfeis der 23 Unionsabgeordneten des Thüringer Landtages abgebildet. Sie werden dort „Kümmerer für Thüringen“ genannt.

Horst Mitzel